Für viele Menschen endet die Freibadesaison mit dem August, bei manchen geht sie dann erst so richtig los. Der Trend »Eisbaden« erfreut sich seit einiger Zeit steigender Beliebtheit. Auch unsere Autorin hat sich ins kalte Wasser gewagt und berichtet
Prof. Dr. med. Axel Preßler ist Sportkardiologe mit eigener Praxis in München. Dort bietet er in einer Kältekammer auch die gezielte Kältetherapie an.
Zur Person
Selena Gruner, Jahrgang 1999, hatte keine Lust mehr auf ständiges Frieren und Kranksein. Deswegen hat sie 2022 angefangen, regelmäßig Eisbaden zu gehen – mit Erfolg.
Drei Tipps für Eisbad-Neulinge: So fängt man richtig an
Wir haben Kälteprofi Daniel Fetz zu seinen wichtigsten Tipps für Anfänger:innen befragt. Der ehemalige Spitzensportler gibt Workshops und Trainings rund um das Thema Eisbaden und Atemfitness. Auch auf seiner Webseite finden sich viele nützliche Tipps für Einsteiger.
Bei niedrigen Temperaturen in kaltem Wasser baden: Warum sollte man sich das antun?
Ich sage gern: Wenn du deinen Körper nicht quälst, quält er dich. Eisbaden kann viele Benefits haben, zum Beispiel die positiven Effekte auf den Körper und Geist. Man tut sich etwas Gutes und kommt mit jedem Mal etwas stärker aus dem Wasser wieder raus.
Das erste Mal Eisbaden kann ganz schön herausfordernd sein. Wie geht man das richtig an?
Am Anfang würde ich dazu raten, es nicht allein zu machen. Nehmt euch jemanden mit, der schon Erfahrung hat. Ein gutes erstes Erlebnis ist wichtig, sonst denkt man sich direkt: »Das mache ich nie wieder.« Dann kommt es vor allem auf die Atmung an. Wichtig ist dabei: länger ausatmen als einatmen.
Für den Start sind ruhige Gewässer, in denen man stehen kann, am besten geeignet. Da man in den Händen und Füßen die meisten Schmerzrezeptoren hat, können Badeschuhe oder Neoprensocken und -handschuhe helfen. Und eine Mütze ist wichtig, denn über den Kopf verliert man viel Wärme.
Wie lang sollte man als Anfänger im Wasser bleiben und worauf sollte man besonders achten?
Am Anfang würde ich sagen, dass zwei Minuten völlig ausreichend sind. Für Geübte gibt es die Faustregel, dass die Wassertemperatur die maximale Dauer angibt – ist das Wasser fünf Grad warm, sollte man maximal fünf Minuten drinbleiben.
Ganz wichtig: Niemals unter Eis tauchen, das kann lebensgefährlich werden. Und man sollte vorher nicht ausgekühlt sein. Wenn du schon vor dem Baden zitterst, solltest du es lieber bleiben lassen. Außerdem sollte man sich nicht zu schnell aufwärmen. Das kann wirklich gefährlich werden. Direkt in eine heiße Badewanne zu steigen, kann lebensbedrohlich sein. Lieber einen warmen Tee trinken und ein bisschen sanfte Bewegung wie Yoga oder eine kleine Fitnesseinheit machen. Dann erst lauwarm duschen. Je länger man im Wasser war, desto langsamer muss der Übergang ins Warme erfolgen.
Ich bin der Typ Mensch, der immer friert. So hätte ich mich jedenfalls früher beschrieben. Meine Wärmflasche nahm ich sogar mit in die U-Bahn, unter meiner Hose hatte ich immer Leggings an, selbst im Sommer ging ich mit Socken ins Bett. Außerdem war ich ständig erkältet. Regelmäßig verfluchte ich mein Immunsystem wegen seiner Schwäche.
Im Januar 2022 habe ich dann das Eisbaden für mich entdeckt. Der Plan entstand, als ein Freund mir erzählte, dass er nicht mehr krank sei, seit er regelmäßig ins kalte Wasser gehe. Hinzu kam: Auf Instagram sah ich immer häufiger Leute, die sich in Badewannen mit Eiswürfeln setzten und von den positiven Effekten schwärmten. Ein stärkeres Immunsystem und weniger Frösteln durch ein paar Sekunden im kalten Wasser? Klang fast zu schön, um wahr zu sein. Trotzdem wollte ich es ausprobieren.
Der erste Sprung ins kalte Wasser
An einem kalten Sonntag im Januar bin ich dann zum ersten Mal mit Freunden zum Eisbaden verabredet. Das Thermometer zeigt nur fünf Grad. Schon als ich mir zu Hause meinen Badeanzug anziehe, sträubt sich alles in mir. Ich packe zwei Handtücher und einen Tee in meinen Jutebeutel und präpariere noch schnell eine Wärmflasche zum Mitnehmen. Sicher ist sicher.
Gemeinsam machen wir uns auf den Weg zur Isar. Der quer durch München laufende Fluss ist ein beliebtes Naherholungsgebiet. Spazierwege schlängeln sich an seinem Ufer entlang. Im Sommer ist das frische Wasser aus den Bergen zum Abkühlen sehr beliebt. An diesem Wintertag mit sechs Grad Wassertemperatur scheint es abwegig. An uns vorbei schlendern Spaziergänger:innen in Daunenmänteln.
Wir suchen eine Weile nach einer geeigneten Stelle. Das Wasser sollte so tief sein, dass man direkt mit dem ganzen Körper eintauchen kann und trotzdem keine starke Strömung herrscht. Schließlich finden wir einen Platz, an dem hinter einer befestigten Uferkante direkt das tiefe Wasser beginnt – optimale Bedingungen.
Dann wird es ernst. Unsere Klamotten legen wir auf ein Handtuch in den Kies und stehen irgendwann in Badesachen und Wintermützen da. Ein ungewohntes Gefühl und anscheinend auch ein seltsamer Anblick. Mehrere Fußgänger:innen bleiben stehen und beobachten, was passiert. Die Schaulustigen erhöhen den Druck. Jetzt zu kneifen, ist keine Option mehr.
»Tief ein- und ausatmen«, rufen mir meine Freunde zu – und dann lassen wir uns langsam ins Wasser gleiten. Im ersten Moment bin ich erst mal überrascht: Im Vergleich zur kalten Luft fühlt sich der Fluss gar nicht so kalt an. Nach ein paar Sekunden fängt das eisige Wasser allerdings an zu stechen. Ich will nicht die Erste sein, die rausgeht, also atme ich weiter tief und fange im Kopf an zu zählen. 20 Sekunden halte ich schon noch aus. Als es vorbei ist, klettere ich erleichtert wieder an Land. Im ersten Moment spüre ich meine Zehen nicht mehr. Jetzt geht es darum, möglichst schnell die nassen Sachen loszuwerden und wieder warme anzuziehen. Mit den zitternden Händen ist das gar nicht so leicht, doch sobald die letzten Tropfen abgetrocknet sind und ich wieder in Pulli und Wollsocken stecke, merke ich, wie sich Hitze in meinem Körper ausbreitet. Fühlt sich richtig gut an!
Was steckt dahinter?
»Das sind Endorphine«, erklärt mir Dr. Axel Preßler, Sportkardiologe aus München. Mit ihm habe ich gesprochen, um herauszufinden, ob ich durch das Eisbaden meiner Gesundheit tatsächlich etwas Gutes tue oder ob es sich um einen Placeboeffekt handelt. Endorphine – umgangssprachlich auch Glückshormone genannt – werden freigesetzt, um die Stressreize zu unterdrücken, die der Körper bei Kälte empfindet. Direkt nach der Kälteerfahrung gehe es dem Körper laut dem Mediziner also wirklich besser.
Und was ist mit den anderen positiven Wirkungen, die man der Kältetherapie nachsagt? Also Dinge wie ein stärkeres Immunsystem, eine bessere Performance beim Sport oder weniger Kälteempfindlichkeit? »Aktuell gibt es zum Eisbaden nur sehr wenige wissenschaftlich fundierte Studien«, erklärt mir Dr. Axel Preßler, »man findet jedoch einzelne Untersuchungen, die auf positive Effekte hinweisen.«
Grundsätzlich sei es so, dass man durch den »Kälteschock« den Körper unter Stress stelle – dieser wird dann mit entsprechenden Reaktionen bekämpft. Was negativ klingt, sorgt für positive Auswirkungen. Denn dieser Stress löst einen Reiz aus, durch den sich die Gefäße im Körper zusammenziehen. Nach dem Eisbad dehnen sie sich wieder aus und führen zu einer gesteigerten Durchblutung mit Ausschüttung von Endorphinen und entzündungshemmenden Stoffen.
Deswegen werde die Kältetherapie auch bei entzündlichen Autoimmunerkrankungen als Therapieform angewendet, erklärt der Kardiologe. Der Effekt könne auch bewirken, dass allgemein Infektionsherde im Körper bekämpft und die Schleimhäute besser durchblutet werden – beides hilfreich zur Abwehr von Erkältungen oder anderen Infekten. Eine Studie der European Rhinologic Society, die die Auswirkung von Eisbädern auf Infektionen der oberen Atemwege untersucht hat, gibt ebenfalls Hinweise darauf, dass kurze Eisbäder eine positive Auswirkung auf das Immunsystem haben können.
Überzeugende Effekte
Ganz subjektiv betrachtet lässt mich jedenfalls das euphorische Gefühl nach meinem ersten Versuch den Winter über nicht mehr los, und ich beginne regelmäßig in die Isar zu springen. Nachdem ich es über einen Monat hinweg wöchentlich geschafft habe, merke ich, dass ich in der Zeit gar nicht krank war. Ein Zufall? Und noch etwas fällt mir auf: Ich friere seltener und bin weniger kälteempfindlich. Kann das vom Eisbaden kommen? Laut Dr. Axel Preßler ist es auf jeden Fall möglich. »Wenn man den Körper regelmäßig der Kälte aussetzt, kann er eine höhere Toleranz entwickeln, denn die Kälterezeptoren entwickeln sich weiter.«
Außerdem wird durch Kälte das sogenannte braune Fettgewebe weiter ausgebildet. Das stoffwechselaktive Fett wird zur Wärmeerzeugung genutzt – auch über das Eisbad hinaus. Stimmt es, dass Kältetherapie dadurch beim Abnehmen unterstützen kann? Zwar verbraucht das braune Fettgewebe mehr Energie und verbrennt damit auch mehr Kalorien, bei normalgewichtigen Erwachsenen ist laut Studienlage der Effekt aber sehr gering. Immerhin: Eine Untersuchung der University of Georgia von 2017 fand heraus, dass bei stark übergewichtigen Personen braunes Fett beim Abnehmen unterstützen kann.
Inzwischen freue ich mich richtig auf das Baden und vor allem auf das Gefühl danach. Ich überzeuge immer mehr Freundinnen und Freunde, mich zu begleiten und es auszuprobieren – mit Erfolg. Viele sind vor allem stolz darauf, dass sie es tatsächlich geschafft haben. »Die psychologische Komponente spielt beim Eisbaden eine große Rolle«, erklärt mir der Arzt. »Da kommt eine Überwindungsthematik ins Spiel: Ich traue mich etwas und fühle mich danach besser – da setzt das Belohnungszentrum unseres Gehirns an.«
Einige meiner Freunde sagen mir jedoch wegen gesundheitlicher Bedenken ab. Sollte man erst einmal medizinisch abklären lassen, ob man körperlich fit genug ist? »In der Regel ist ein ärztlicher Check nicht nötig«, sagt Dr. Axel Preßler. »Personen, die keine gesundheitlichen Probleme haben, dürften mit ein paar Minuten extremer Kälte gut klarkommen.« Wichtig sei aber, dass man auf sich und seinen Körper höre. Gerade bei Personen mit Herzerkrankungen oder Blutdruckproblemen ist Vorsicht geboten. Auch wenn man sich krank fühlt, sollte man das Eisbaden lieber aussetzen.
Alle Jahre wieder
Nach vielen Wochen des Aufschiebens habe ich es nun auch diesen Winter wieder das erste Mal an die Isar geschafft. Das Ritual aus Handtuch hinlegen, Klamotten ausziehen, tief durchatmen und ins Wasser gehen fühlt sich vertraut an, die erste Berührung mit dem Wasser ist wieder ein Schock. Ich versuche, mich auf andere Sachen zu konzentrieren – auf die Umgebung, meinen Atem, das Kind, das mich staunend von der Brücke aus beobachtet. Irgendwie schaffe ich es, langsam von zehn bis null herunterzuzählen und rette mich dann aus dem Wasser. Als ich meinen kuscheligen Pulli angezogen habe und das wohlige Gefühl eintritt, verspreche ich mir: Das mache ich auch diesen Winter wieder öfter!
Text Selena Gruner
Fotos Oliver Fiegel