Entwurzelte Bäume, überflutete Keller, zerstörte Autos. Am Wochenende vom 26. August fegte ein starkes Unwetter über den süddeutschen Raum. Die Gemeinden Benediktbeuern und Bad Bayersoien sind von den Folgen besonders stark betroffen. Gemeinsam mit der Schadenreguliererin Lena Schäffler haben wir vier Betroffene besucht
Zur Person
Lena Schäffler ist Sachverständige für Gebäudeversicherung der Allianz. Nach dem Unwetter ist sie in der Region unterwegs, begutachtet Schäden und spricht mit den Betroffenen.
Aus dem Grill auf der Terrasse am Haus steigt hellgrauer Rauch auf, das Fleisch brutzelt. Dahinter breitet sich vor den Augen von Verena Facius und ihrer Familie die volle Pracht des Alpenvorlandes aus: grüne Wiesen, ein üppiger Garten mit Hortensiensträuchern und Blumenbeeten. Aus dem Augenwinkel sieht man das stattliche Kloster von Benediktbeuern. Verena Facius und ihr Mann ahnen nicht, dass in wenigen Minuten ein beispielloses Unwetter ihr Idyll ins Chaos stürzen wird.
Es ist Samstag, der 26. August, kurz nach 16 Uhr. Plötzlich brummt das Handy auf dem Tisch: Verena Facius bekommt per SMS eine Unwetterwarnung. Sie und ihr Mann diskutieren kurz, ob sie noch ein Auto in die Garage stellen sollen. Das Leasingauto der Firma oder das neue Cabrio? Sie winken ab, der dunkle Himmel sieht für sie nach einem kleinen Sommergewitter aus. Wie falsch diese Annahme war, weiß Familie Facius heute.
Hagel und Wind hinterließen Schäden an 85 Prozent der Häuser im Klosterdorf Benediktbeuern im bayerischen Voralpenland, mehr als 1000 Schadenfälle wurden bereits in den ersten drei Tagen nach dem Unwetter gemeldet. Alleine die Schäden am Kloster in Benediktbeuern liegen Schätzungen zufolge im zweistelligen Millionenbereich, so Experten des Denkmalschutzes. Die Gesamtsumme dürfte im dreistelligen Millionenbereich liegen. Auch der Schaden an Haus und Hof von Familie Facius ist groß.
Auf ihrem großen Grundstück stehen drei Wohnhäuser. Zwei Gebäude aus dem 20. Jahrhundert werden vermietet, das denkmalgeschützte Wohnhaus aus dem Jahr 1640 bewohnt Verena Facius mit ihrem Mann Florian Facius und ihren zwei kleinen Kindern. Das Haus sei schon immer im Besitz ihrer Familie gewesen, ursprünglich war es der Schweinestall vom Kloster in Benediktbeuern. Alle Dächer wurden zerstört. “Als es klirrte, dachte ich, na gut, es wird ein, zwei Fenster zersplittert haben”, erinnert sich Herr Facius. “Erst als ich rauslief und sah, dass das Dach weg ist, wurde mir bewusst, was hier gerade passiert ist.” Noch in der Nacht des Unwetters haben die Facius Siloplanen von Bekannten organisiert und auf das Dach gelegt, um irgendwie den Regen abzuhalten. Mit mäßigem Erfolg.
»In 400 Jahren hat es so was nicht gegeben«
Allianz-Kundin Verena Facius
“In 400 Jahren hat es sowas nicht gegeben”, erzählt die Hausbesitzerin mit Tränen in den Augen. Im Jahr 2020 kernsanierten die Facius das Haus. “Wir sind eine Handwerkerfamilie”, erzählt sie. “Wir haben jedes Kabel, jede Leiste, jede Fliese selbst verlegt.” Ihre Verzweiflung ist greifbar. Doch jetzt gilt es, die Schäden zu beheben und den Wiederaufbau anzugehen.
Dienstag, 28. August. 7:45 Uhr, drei Tage nach dem Unwetter fährt Lena Schäffler auf den Klosterparkplatz, der neben dem Haus der Facius liegt. Sie hat eine dunkle Regenjacke an, feste Schuhe, auf ihrer Bluse das Allianz Logo – die Betroffenen erwarten ihren Besuch bereits. Die Sachverständige für Gebäudeversicherung der Allianz ist seit Sonntagabend in den betroffenen Regionen unterwegs, gemeinsam mit einem Schadensgutachter. “Wir sind jetzt ein magisches Dreieck.” So beginnt sie das Gespräch mit den Kunden und zeigt auf sich, den Schadensgutachter und die Kunden. “Die nächsten Monate werden wir viel voneinander hören.”
Schock, Sorgen, Verzweiflung. Was für die Familien in Benediktbeuern eine Ausnahmesituation ist, ist für Lena Schäffler Arbeitsalltag. “Massenschäden wie diese beschäftigen uns die nächsten vier bis sechs Wochen”, erklärt die studierte Kunsthistorikerin. Dafür wird ein Krisenzentrum eingerichtet, Kollegen aus ganz Deutschland kommen für diese erste Phase nach Oberbayern. Bis zu fünfzehn Schäden nehmen die Allianz Mitarbeiter:innen pro Tag auf, nach und nach wird die Schadenssumme erkennbar. In dieser Phase ist die Sachverständige die vielleicht wichtigste Ansprechpartnerin für Kunden. Sie sorgt dafür, dass das Versicherungsgeld in der richtigen Höhe an die Kunden überwiesen wird, damit diese Handwerker und Material bezahlen können. “Ich bin aber auch da, um die Leute zu beruhigen, zu begleiten und um zu zeigen, dass auch hinter einem großen Schiff wie der Allianz, Personen stehen, die helfen und unterstützen.”
Bei der Fahrt durch die Ortschaft in ein Neubaugebiet erkennt die Sachverständige das ganze Ausmaß der Katastrophe: kaum ein Haus, auf dem Dachziegel nicht beschädigt sind. Dominikus Eckhart wohnt seit Dezember 2021 mit seiner Familie in einem der Einfamilienhäuser. Das Unwetter hat sein Dach in Mitleidenschaft gezogen, auch einige Fenster gingen zu Bruch. Als er die Wetterfront am Samstagnachmittag sah, sprang er in sein Auto, um es geschützter zu parken. Das Gewitter war schneller.
“Ich saß zusammengekauert hinter dem Lenkrad, die Windschutzscheibe zersplitterte und bog sich durch das Gewicht der Hagelkörner immer weiter durch”, erzählt Dominikus Eckhart. Seine Hand zittert, als er auf den Wagen zeigt, der jetzt von einer grauen Plane verdeckt wird: “Ein Totalschaden, alle Fenster sind zersprungen.” Einer der Glassplitter ist in seinem Auge gelandet, der Bluterguss ist noch immer deutlich zu sehen. Lena Schäffler hört zu, notiert, tröstet und muss dann schon wieder weiter. Der nächste Kunde wartet bereits.
»Wir haben Glück gehabt«
Allianz-Kunde Jürgen Schöller
Steinmetz Jürgen Schöller wohnt am südlichen Ende des Ortes. In der rechten Haushälfte befindet sich sein Atelier, links wohnt er mit Frau und Sohn. “Wir haben Glück gehabt”, erklärt er. Doch die Scheiben des Familienautos sind zerbrochen, der komplette Wagen ist übersät von kraterartigen Dellen. Fahren kann man damit nicht mehr. Für Schöller ein Problem. “Ohne das Auto bin ich aufgeschmissen, kann keine Materialien besorgen”, erklärt Jürgen Schöller. Auch in seiner Stimme liegt Verzweiflung.
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Lena Schäffler begutachtet den Schaden im Wohnhaus. Die Alurolladen an den Fenstern haben schlimme Schäden verhindert, die Fenster blieben intakt. “Meine Frau hat zum Glück direkt geschaltet und die Rollos runter gemacht”, erzählt der Steinmetz. Noch immer lebt Familie Schöller ohne Strom, die Rollos sind auch drei Tage nach dem Sturm unten. Als Lena Schäffler vorschlägt, die Rollos hochzufahren, blitzt Panik in den Augen von Jürgen Schöllers Frau aus. “Das trau ich mich nicht”, winkt sie schnell ab.
Nicht nur Benediktbeuern ist betroffen. Circa 40 Kilometer weiter westlich liegt das einst malerische Dorf Bad Bayersoien. Auf dem Weg in den Ort blickt man von der Schnellstraße von oben auf das Dorf. Drei Tage nach dem Unwetter sind fast alle Dächer mit Planen abgedeckt, an beinahe jedem Haus steht ein Gerüst. Hier wurde der Katastrophenfall ausgerufen. Das technische Hilfswerk und unzählige Feuerwehrautos sind bereits vor Ort.
Besonders schlimm hat es Jakob Sanner erwischt. Gemeinsam mit seiner Frau leitet er einen landwirtschaftlichen Betrieb in Benediktbeuern. ”Der Hagel klang wie ein Maschinengewehr”, erzählt er. Er zerstörte die Dächer der Wohnhäuser, aber auch die der Silos und Ställe. “Dort wird die Ernte getrocknet. Die müssen wir komplett wegschmeißen”, erklärt Jakob Sanner verzweifelt. “Ein, zwei Tage danach hätte man sie noch trocknen können. Drei Tage im Regen schafft das Futter nicht.” Einige seiner Tiere wurden von den übergroßen Hagelbällen tödlich getroffen. Wie er seine übrigen Tiere im Winter füttern soll, weiß er noch nicht.
»Wir müssen wohl damit leben, dass so etwas jetzt häufiger kommt«
Landwirt Jakob Sanner
“Das sind sogenannte Totalausfälle”, sagt Maximilian Niederberger-Kern. Der Allianz Agrar Experte erzählt, dass zu dem Unwetterereignis bayernweit ca. 500 Schäden bis Mitte September gemeldet wurden. “Es ist ohnehin Hauptsaison für Unwettermeldungen bei landwirtschaftlichen Betrieben, aber in diesem Sommer scheinen die Extremwetterereignisse zuzunehmen”, sagt er. Diese bedrohen die Existenz vieler Landwirt:innen. So wie die von Jakob Sanner. “Wir müssen wohl damit leben, dass so etwas jetzt häufiger kommt”, sagt er. Für ihn heißt es jetzt aufräumen – und dann weitermachen. Zum Glück muss er das nicht allein: neben Lena Schäffler von der Allianz sind noch unzählige Helfer und Helferinnen sind in den Krisenorten zusammen gekommen, um beim Abdecken und Aufräumen zu helfen. Dachziegel werden verschenkt, Dachdecker und Handwerker arbeiten zum Teil in 48 Stunden Schichten. Ohne diese Unterstützung würde der Wiederaufbau schwer werden.
Text Selena Gruner
Fotos Simon Koy