Als Auszubildende bei der Allianz lernten sich Hubert Windsperger und Franz Beckenbauer 1959 in München kennen. Aus den gemeinsamen Lehrjahren entstand eine enge Freundschaft. Der heute pensionierte Versicherungsvertreter erzählt über seine schönsten »Kaiser«-Erlebnisse und lustige Berufsschulzeiten
Zur Person
Hubert Windsperger (geb.1945) wuchs mit sieben Geschwistern im bayerischen Wolfratshausen auf. Von 1959 bis 1962 absolvierte er bei der Allianz seine Lehre als Versicherungskaufmann. Dort lernte er Franz Beckenbauer kennen, mit dem er bis kurz vor dessen Tod eng befreundet war. Neben der Arbeit spielte er viele Jahre als Profi-Fußballer bei Clubs wie dem FC Bayern, FC Freiburg oder Preußen Münster
Herr Windsperger, Sie sind der Trauerfeier zu Ehren von Franz Beckenbauer in der Allianz Arena ferngeblieben. Warum?
Das ist mir zu viel Trubel. Wenn sich die große Aufregung gelegt hat, werde ich in aller Ruhe und Stille sein Grab besuchen und mich verabschieden.
Wie haben Sie Franz Beckenbauer kennengelernt?
Wir haben uns im Sommer 1959 in der Bayerischen Versicherungsbank getroffen. Die BVB war damals eine Tochtergesellschaft der Allianz, in der ein großer Teil des Sachversicherungsgeschäfts gebündelt war, also ein Vorläufer der heutigen Allianz Versicherungs-AG. Das war während unserer Aufnahmeprüfung. Die fand damals den ganzen Tag in den Räumen am Hauptsitz in der Theresienstraße in München statt.
Was hat er für einen Eindruck auf Sie gemacht?
Er war sehr schüchtern. Aber ich auch. Wir beide waren auch mit Abstand die Jüngsten. Gerade mal 14 Jahre alt. Und wir waren die Einzigen, die nur einen Volksschulabschluss hatten. Die andern hatten alle ihre Mittlere Reife und waren schon um die 16.
Warum durften Sie trotzdem an der Prüfung teilnehmen?
Weil wir beide super Abschlusszeugnisse hatten. Es heißt ja immer, dass der Franz seine Ausbildung nie so ernst genommen hat. Das stimmt auch in gewisser Weise. Aber er war ein sehr schlauer Schüler. In der Volksschule hatte er gute Noten.
Aber Sie waren auch sehr gut. Ihre Ausbildung haben Sie 1962 mit Auszeichnung abgeschlossen.
Das stimmt. Ich habe meine Handelskammerprüfung als bester Lehrling von München und Oberbayern abgeschlossen.
War die Lehrzeit bei der Allianz sehr schwer?
Ja. Wir hatten sehr strenge Lehrer, und die Ausbildung war sehr umfangreich. Wir hatten einmal die Woche Berufsschule und Abteilungsunterricht, einen Tag die Woche Schadensunterricht, Stenografie, Maschinenschreiben und Hausunterricht. Dazu gab es aber sehr schöne Lehrfahrten in die Umgebung, wo wir die Chance hatten, die anderen Allianz Lehrlinge besser kennenzulernen. Die anderen Berufsschüler:innen haben uns beneidet, dass wir so vieles lernen durften. Franz und ich waren ja in der Berufsschulklasse die Einzigen von der Allianz. Die anderen kamen von anderen Versicherungen.
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Was haben Sie sich von ihrem ersten Lehrlingsgehalt gekauft?
Ich habe damals 69 Mark im Monat verdient. Davon gingen 16 Mark für die Bahnfahrkarte ab, weil ich ja am Anfang immer von meinem Wohnort Wolfratshausen nach München gependelt bin. Vom restlichen Geld habe ich mir tatsächlich meinen ersten Anzug gekauft. Ein dunkelgraues Teil mit feinen Streifen. Dafür bin ich mit meiner Mutter zu C&A nach München gefahren.
Den mussten sie für die Arbeit tragen?
Ja. Damals mussten alle Männer mit Anzug und Krawatte ins Büro kommen. Ich weiß noch, wie ich diesen Anzug dann das erste Mal auf dem Weg zur Arbeit getragen habe. Es hat stark geregnet. Als ich bei der Allianz ankam, war die Hose unten zehn Zentimeter kürzer. Es war leider nicht der beste Stoff. (lacht)
Haben Sie während Ihrer Lehrzeit viel mit Franz Beckenbauer zu tun gehabt?
Wir wurden dicke Freunde. Obwohl er am Anfang ja schüchtern war, konnten wir prima über Fußball sprechen. Das war unsere gemeinsame Leidenschaft. Da taute er auf. Er spielte ja schon in der B-Jugend beim FC Bayern. Was ich besonders genossen habe, waren die gemeinsamen Pausen bei ihm Zuhause in Giesing.
Was haben Sie dort gemacht?
Zusammen gegessen und Fußball gespielt. Seine Mutter hat immer für uns Mittagessen gekocht. Ich war schon ein halber Sohn für sie. Am liebsten mochten wir ihre Petersilienkartoffeln mit gebratenem Rindfleisch. Danach ging es für ein halbes Stündchen zum Kicken. Franz wohnte in einem alten Haus am Ostbahnhof. In der Nähe gab es einen kleinen Ascheplatz. Da haben wir immer zu zweit gekickt. Das machten wir so einmal die Woche, wenn wir aus Harlaching am Vormittag vom Versicherungsunterricht kamen. Da hatten wir drei Stunden Zeit, bis wir am Nachmittag dann nach Steinhausen ans andere Ende der Stadt mussten. Dort hatten wir dann Stenografie und Maschinenschreiben.
War Franz Beckenbauer ein guter Stenografie-Schreiber?
Nun, er war ein besserer Maschinenschreiber. Da haben wir uns gegenseitig geholfen. Ich konnte Steno besser. Irgendwie hatte er es nicht so mit Abkürzungen beim Schreiben. Selbst auf seinen Autogrammkarten hatte er als Spieler immer mit vollem Namen unterschrieben. Obwohl der ja relativ lang war.
Sie sagten, dass Franz Beckenbauer manchmal seine Ausbildung nicht ganz so ernst genommen hatte. Wie äußerte sich das?
Nun, den Franz nannten wir alle nur Billy the Kid, weil er in der letzten Reihe sehr oft heimlich Wildwestromane gelesen hatte. (lacht)
Am Ende hat er dann aber wie Sie seine Ausbildung abgeschlossen und in der Kraftbetriebsabteilung der Allianz gearbeitet. Hat man als Sachbearbeiter damals eigentlich mehr Autounfälle als heute bearbeitet? Immerhin gab es noch keine Anschnallpflicht, und auch mit dem Alkohol am Steuer nahm man es in Deutschland noch nicht so ernst.
Nein. Die Anschnallpflicht kam zwar erst 1970, und die Promillegrenze war 1953 bei 1,5 und wurde erst 1973 auf 0,8 gesenkt. Aber in den 50er- und 60er-Jahren gab es auch noch nicht so viele Autos wie heute. Außerdem konnten die alten Automodelle noch nicht so schnell fahren, und sehr viele Straßen glichen eher einer Buckelpiste als einer glatten Asphaltbahn. Das hat das Tempo automatisch gedrosselt. (lacht)
Auch Sie haben nach der Ausbildung weiter für die Allianz als Versicherungsvertreter gearbeitet. Sowohl Franz Beckenbauer als auch Sie haben aber zeitgleich Profifußball gespielt. Wie konnten Sie das vereinbaren?
An diesem Punkt verdanke ich der Allianz eine ganze Menge. Auch deswegen bin ich ihr bis heute immer treu geblieben. Ich bin 1964 Profi beim FC Bayern geworden. Franz selbst hat mich in den Verein geholt. Ich hätte mir das vorher nie zugetraut. Aber einmal kam er heimlich mit einem Trainer vom FC, und sie haben mich beim Spielen beobachtet. Da habe ich mich ganz gut angestellt. (lacht) Na ja, als wir dann 1965 mit der Mannschaft in die erste Bundesliga aufgestiegen sind, habe ich von der Allianz eine Sondergenehmigung bekommen. Ich habe von acht bis zwölf Uhr gearbeitet und durfte nachmittags trainieren. Außerdem haben sie mich in den Außendienst versetzt, damit ich mir den Beruf und das Spielen freier einteilen konnte.
Sie haben auch für andere deutsche Klubs gespielt.
Ja. Und die Allianz war da immer sehr kulant – zum Beispiel als ich vier Jahre für Preußen Münster gespielt habe. Da konnte ich in einer dortigen Allianz Vertretung arbeiten. Natürlich war ich als Bundesligaspieler aber auch für die Versicherung interessant. Ich habe sogar einmal während eines Spiels in der Halbzeit Werbedurchsagen für die Allianz durch den Stadionlautsprecher gemacht. Außerdem konnte ich durch meine zunehmende Bekanntheit auch viele Versicherungskundinnen und -kunden gewinnen.
Warum haben Sie dann Ihre Fußballerkarriere aufgegeben?
Ich bin sehr heimatverbunden und wollte wieder zurück nach Wolfratshausen. Außerdem hat mir die Arbeit bei der Versicherung wirklich mehr Spaß gemacht. Ich habe dann dort meine eigene Allianz Vertretung aufgebaut. Das war für mich auch die sicherere Zukunftsperspektive. Selbst als erfolgreicher Fußballer ist irgendwann das Spiel vorbei, und du musst schauen, wie es beruflich weitergeht.
Franz Beckenbauer hatte sich anders entschieden. Waren Sie jemals neidisch auf ihn?
Nie! Im Gegenteil. Wissen Sie, Franz war damals sogar mal kurz davor, das Fußballspielen ganz aufzugeben. Er ist ja schon mit 18 Jahren Vater geworden. Die Mutter des Kindes, seine damalige Freundin Ingrid Grönke, lernte er bei der Allianz kennen. Als sein Trainer das mitbekam, hat er ihn in die 2. Mannschaft degradiert. Ein uneheliches Kind war ein Skandal. Franz hat das sehr mitgenommen. Er wollte aufgeben, aber ich habe ihm Mut gemacht. Durch mich hat er weitergemacht. Es wäre Wahnsinn gewesen; so ein Ausnahmetalent gehört auf den Fußballplatz.
Wie werden Sie Franz Beckenbauer in Erinnerung behalten?
So wie auf dem Plattencover mit seinem Schlager »Gute Freunde kann niemand trennen«. Die Erstpressung mit der Widmung von Franz steht heute noch in meinem Schlafzimmer. Da schau ich jeden Tag drauf. Das war 1966. Wir haben das Lied mit der Mannschaft im Tonstudio aufgenommen und hatten so viel Spaß. Wir haben uns alle nicht so ernst genommen. Jeder wusste natürlich, dass er nicht singen kann. Ich weiß, dass das Lied auch viel Spott geerntet hat – Fußballer, die so einen banalen Text trällern. Aber diese einfachen Worte sagen heute mehr denn je, wie ich zu Franz stehe: Uns kann niemand trennen. Auch der Tod nicht.
Text Sonja Hoogendoorn
Fotos privat, IMAGO / WEREK