27.07.2022

Der Superkanal: Ein Jahrhundertbauwerk

Im Londoner Untergrund geschieht seit jeher Wundersames: Fettmonster treiben ihr Unwesen, Wikingerschiffe tauchen auf – und die Allianz steckt viel Kapital in eine saubere Sache, die mit Abwassern zu tun hat. Einblicke in ein Jahrhundertbauwerk

Wer am Londoner Themse-Ufer entlangspaziert, passiert Sehenswürdigkeiten fast im Minutentakt: Tower Bridge, Big Ben und das London Eye gehören zu den meistfotografierten Motiven Europas. Derzeit entstehen in der Nähe dieser Monumente neue Meisterwerke der Ingenieurskunst: weniger pompös, versteckt im Untergrund, etwas unschön (besonders der Inhalt) – aber sie werden das Leben in der Metropole nachhaltiger verändern als jedes Riesenrad. Es geht um die Kanalisation. Und darum, was Allianz Kund:innen in aller Welt davon haben, wenn London künftig noch nicer und die Themse sauberer wird.

»London bekommt seinen Fluss zurück«

Andrew Cox, Managing Director bei Allianz Capital Partners

Was für ein Projekt! Der Thames Tideway Tunnel, Spitzname: »Super Sewer« (Superkanal), gilt als Jahrhundertprojekt in Sachen städtischer Infrastruktur. 4,9 Milliarden Euro kostet das neue Abwassersystem der Weltmetropole. Da sind große Worte angebracht: »London bekommt seinen Fluss zurück«, verspricht Andrew Cox, der bei Allianz Capital Partners als Managing Director für das Projekt verantwortlich ist. Denn die Bürger und Besucher der Stadt hatten »ihren« Fluss in den vergangenen Jahrzehnten ans Abwasser verloren. Die braune Brühe, die da an Big Ben, am London Eye und am Tower vorbeiwabert, die stinkt im wahrsten Wortsinne zum Himmel. Was vor allem daran liegt, dass die Kanalisation hoffnungslos veraltet ist, obgleich auch sie absoluter Top-Standard war, als sie gebaut wurde. Nur ist das leider schon 150 Jahre her. Allerhöchste Zeit für ein neues System, und daran ist die Allianz Capital Partners zu großen Teilen beteiligt. Die hält im Auftrag der Allianz Gesellschaften 34,3 Prozent an der Bazalgette Tunnel Limited (BTL), die den Tunnel geplant hat, derzeit baut und künftig auch unterhält und wartet. Es ist eines der größten privat finanzierten Infrastrukturprojekte aller Zeiten. Und es ist ein Langzeitprojekt, denn der Super Sewer soll auch im Jahr 2160 noch funktionieren, wenn die Londoner Bevölkerung laut Prognose auf 16 Millionen Menschen angewachsen sein soll. Zunächst aber ist der Zeithorizont minimal kürzer: Die Lebensdauer ist mit 120 Jahren angesetzt.  

Allianz Global Investors, zu der die Allianz Capital Partners gehört, investiert regelmäßig in derlei nachhaltige Infrastrukturprojekte und gehört zu den größten Infrastrukturinvestoren weltweit. Infrastruktur gilt in der Regel als risikoarm und langlebig. Und davon profitieren im Fall des »Super Sewer« nicht nur die Bewohnerinnen und Bewohner Londons, sondern auch Kundinnen und Kunden der Allianz Lebensversicherung und der Allianz Private Krankenversicherung. Denn immerhin sind es ihre Gelder, die investiert werden. Seit mehr als zehn Jahren fokussiert sich die Allianz in der Kapitalanlage schon auf nachhaltige Projekte. Und das aus zwei Gründen: Dort gibt es langfristig attraktive Renditechancen, und nachhaltige Investitionen sind gut für Mensch und Umwelt. Die Bandbreite ist dabei enorm. Es können Gebäude sein,  erneuerbare Energien, Telekommunikation, Schiene­n­verkehr. Oder eben ein Abwassersystem. Denn auch das kann sich rechnen: In London erhöhte Betreiber Thames Water vor einigen Jahren die jährliche Wasserrechnung für jeden Haushalt um etwa 20 Pfund. Damit wird das Projekt, das allen Londonern und Londonerinnen erheblich bessere Abwasserversorgung und Lebensqualität an der Themse bringt, finanziert und sorgt gleichzeitig auch für stabile Renditen für die Allianz Versicherten. Und auch die Kosten, die bei großen Bauprojekten traditionell immer viel bis sehr viel höher sind als veranschlagt, hielten sich trotz Pandemie im Rahmen: »Wir liegen knapp 20 bis 25 Prozent über dem Budget«, sagt Andrew Cox. Kalkuliert hatte man einst mit 3,5 Milliarden Euro. 

Auch eine Überraschung, bedenkt man die vielen Unwägbarkeiten beim Wühlen durch jahrmillionenalte Erdschichten und die Größe des Projekts. Einen Eindruck von den baulichen Dimensionen bekommt man beim Besuch einer der Baustellen – insgesamt sind es 24. An jener an der Blackfriars Bridge, einem geschäftigen Stadtteil mitten in der City, fühlt man sich, sobald man hinabgestiegen ist unter die Wasserlinie, wie in einer unterirdischen Kathedrale aus nacktem Beton. Für Veranstalter wilder Raves ein Traum, aber ein vorübergehender, denn in wenigen Jahren wird hier das Abwasser durchrauschen. Gearbeitet wird an einem sogenannten Kofferdamm, einer wasserdichten Verkleidung, denn hier fließt eigentlich die Themse. Auffälligstes Teilbauwerk ist der Zylinder mit den gut 20 Metern Durchmesser, der 60 Meter tief hinunterreicht. Er sammelt das Abwasser der Gegend ein und leitet es vertikal hinab in den eigentlichen horizontal verlaufenden Tunnel.

Credit: Tideway
Unterirdisch: Der Tunnel beginnt in 30 Metern Tiefe und endet in 60 Metern Tiefe
Credit: Tideway
Work in Progress: Die Bauarbeiten des Tideway Tunnels begannen 2016 und sollen 2025 abgeschlossen sein
Credit: Tideway
Lange Leitung: 25 Kilometer misst der Kanal insgesamt

Das Prinzip ist denkbar einfach: Der Tunnel fällt von West nach Ost um insgesamt 36 Meter ab. Im Westen bei Acton beginnt er in 30 Meter Tiefe und endet im Osten an der Abbey Mills Pumping Station auf 66 Meter Tiefe (von wo aus das Abwasser in die Kläranlage Beckton geleitet wird). Pro 790 Meter Länge muss es um einen Meter tiefer gehen, damit er durch Wasserdruck und Fließgeschwindigkeit selbstreinigend ist. Der gesamte Tunnel ist 25 Kilometer lang und folgt im Wesentlichen dem Flusslauf der Themse. Er befindet sich aber weit unterhalb des Flussbettes, sodass die Themse künftig nicht mehr von Müll und Fäkalien belästigt wird. »Es werden bis zu 95 Prozent weniger ungeklärte Abwässer in die Themse gelangen«, verspricht Andrew Cox. Denn die aktuellen Zustände sind katastrophal. Schon wenn es nur ein wenig regnet, in London nicht gerade eine Ausnahmesituation, läuft das marode Kanalsystem über, und die Abwässer fließen ungeklärt in die Themse. Dazu kamen immer mehr Menschen, die sich teilweise nicht sonderlich intelligent verhielten und auch Damenbinden, Feuchttücher, Windeln oder Frittierfett im Toilettenwasser entsorgten. Das führte immer wieder zu Verstopfungen, ja gigantischen Fettklumpen in der Kanalisation. Schlagzeilen machte zuletzt »Fat the Ripper«, der bis dato größte Fettklumpen, der 2017 entdeckt und neun Wochen lang abgetragen werden musste. Er war 250 Meter lang und mehrere Hundert Tonnen schwer. 

Dabei schließen Thames Water und die Allianz Global Investors mit dem Thames Tideway Tunnel an eines der spektakulärsten und modernsten Projekte des 19. Jahrhunderts an. Damals war es der Tiefbauingenieur Sir Joseph Bazalgette, unter dessen Leitung ab 1859 das heutige Kanalisationssystem entstand. Aus Portlandzement und 318 Millionen Ziegelsteinen gemauert, 160 Kilometer lang und ganz weitblickend ausgelegt auf vier Millionen Menschen, obwohl seinerzeit nur etwa zwei Millionen in der damals größten Stadt der Welt lebten. Heute sind es aber fast neun Millionen. 

Credit: Tideway
Nah am Wasser: eine der insgesamt 24 Kanalisationsbaustellen in London

Chronisten nannten es seinerzeit »das wunderbarste Bauwerk der Neuzeit«. Schließlich bedrohten die Bürger damals nicht nur Fettberge, sondern tödliche Krankheiten. Mehrere Choleraepidemien rafften Tausende dahin, zuletzt 1854. Dass der Prinzgemahl Albert 1861 an Typhus starb, wurde letztlich auch der miserablen Trinkwasserqualität angelastet. Ihre Themse verglichen die Londoner mit dem Höllenfluss Styx. Eine Zeitung formulierte es 1858 blumig: »Wer einmal den Gestank eingeatmet hat, wird ihn nie vergessen und kann sich glücklich schätzen, dass er überhaupt überlebt hat und sich daran erinnert.« In jenem Juli 1858 war es zudem auch noch durchschnittlich 35 Grad heiß, was alles noch schlimmer machte. Der Sommer ging als »The Great Stink« in die Geschichte ein. Der Gestank trieb auch ins Parlament nach Westminster, wo sogar Debatten unterbrochen werden mussten. Immerhin handelten die Politiker außergewöhnlich zügig – und schon am 2. August 1858 wurde ein Gesetz beschlossen, das den Weg für die Kanalisation freimachte.  

Nun bekommen die Londoner also wieder einmal ihren Fluss zurück. Was das bedeutet, lässt sich auf Grafiken und Fotomontagen bereits betrachten. Da starten Umweltorganisationen Projekte, um Fische und auch Säugetiere wieder anzusiedeln. An der Oberfläche der großen Sammelstationen, wie der an der Blackfriars Bridge, werden Parks und Anlagen entstehen. Und auch ein Freibad im Fluss ist angedacht. Ebenso wie eine Ausstellung mit all den Gegenständen, die in den vergangenen Jahren in 20, 40 oder 60 Meter Tiefe entdeckt wurden. Darunter auch ein Wikingerschiff. Und dort finden dann sicher auch die Touristen wieder genügend Fotomotive.

So funktioniert der Tideway Tunnel

Das Problem: Regnet es in London, läuft derzeit das Kanalsystem über, und Abwasser und Fäkalien gelangen ungeklärt in die Themse. Der Grund: Die Kanalisation Londons ist mehr als 150 Jahre alt und wurde ursprünglich für 4 Millionen Bewohner konzipiert. Heute leben aber bereits 9 Millionen Menschen in der Metropole. 2160 könnten es 16 Millionen sein. 

Die Lösung: 2014 wurde der Bau des Tideway Tunnel be­schlossen, eine Art Bypass für die veraltete Kanalisation. Das Prinzip ist denkbar einfach: Der Haupttunnel ist 25 Kilometer lang und folgt im Wesentlichen dem Flussverlauf der Themse. Dabei fällt er insgesamt 36 Meter ab. Im Westen bei Acton beginnt er in 30 Metern Tiefe und endet im Osten an der Abbey Mills Pumping Station in 66 Metern Tiefe. Dort wird das Abwasser nach oben gepumpt und zur Kläranlage Beckton Sewage Treatment Works geleitet. ­Etwa 20 Meter breite Zylinder sammeln das Abwasser und leiten es dann senkrecht hinab in den eigentlichen, horizontal verlaufenden Tunnel, der einen Durchmesser von gut sieben Metern hat.

Text                Detlef Dreßlein
Fotos              Tideway
Illustration   Ayse Dincer Aktas 
Video Ed Wright, Philip Dethlefs, Max-Martin Bayer

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