Seit vielen Jahren erforscht Jörg Kubitzki im Allianz Zentrum für Technik die Unfallrisiken durch Ablenkung am Steuer. Das größte Problem: Smartphones. Um ja nichts zu verpassen, setzen viele ihre Gesundheit aufs Spiel. Ein Interview über gefühltes Gewohnheitsrecht, schwierige Polizeiarbeit und Sendepausen, die guttun
Zur Person
Jörg Kubitzki arbeitet im Allianz Zentrum für Technik und untersucht die Gefahren von Ablenkung am Steuer
WerkstattBonus: Sie rufen, die Allianz kümmert sich
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Herr Kubitzki, bereits 2011 veröffentlichte die Allianz die erste mehrerer Studien zum Thema »Ablenkung am Steuer«. Schon damals warnten Sie vor den Gefahren durch Handys am Steuer. Mittlerweile müsste das Thema aber doch eigentlich durch sein?
Leider nicht, die Menschen wissen zwar um die Gefahr, das zeigen auch viele Untersuchungen. Nur: Vom Griff zum Handy hält das keinen ab. Im Gegenteil: Unsere Arbeit zeigt, wie wenig sich Fahrerinnen und Fahrer von den Mahnungen beeindrucken lassen. Essen, Trinken, Rauchen am Steuer – all diese Dinge erhöhen zwar auch die Unfallgefahr, doch nichts ist so gefährlich wie die Nutzung des Smartphones. Das Handy am Steuer halten die Menschen quasi für ein Gewohnheitsrecht. Denn Smartphones werden für nützliche Anwendungen rund um das Auto zwar immer unentbehrlicher, doch gleichzeitig sind sie eine große Gefahr, wenn sie während der Fahrt genutzt werden.
Schielen Sie nicht auch mal mit einem Auge auf Ihr Smartphone?
Nein. Mein Handy ist aus. Das Texten muss dann eben warten. Denn auch der Vibrierton kann nerven. Wenn man partout nicht ohne Smartphone kann, dann sind natürlich die diversen Fahrmodus-Einrichtungen ein Gewinn. Auch eine Freisprechanlage ist allemal besser, als mit dem Handy vorm Lenkrad zu jonglieren. Ich schaffe die 20 Minuten, die ich im Schnitt unterwegs bin, ohne Empfang und ohne Blick auf das Handy. Bei längeren Fahrten reicht es, alle zwei Stunden eine Raststätte anzusteuern, und von dort aus sicher zu kommunizieren.
Was raten Sie Menschen, die auf ihr Smartphone während der Fahrt angewiesen sind?
Für viele Situationen ist es schwer, Lösungen anzubieten. Denken Sie an den Großstadtverkehr. Einfach mal eben an den Straßenrand fahren, um zu telefonieren, ist fast unmöglich. Wer beruflich stets erreichbar sein muss, braucht dann auch die technischen Mittel, um die Gefahr zu minimieren, zum Beispiel ein Headset. Viele Menschen müssen aber nicht erreichbar sein, sondern sie glauben nur, es zu müssen. Das Phänomen hat längst eigene Forschungszweige. Die Angst, abgehängt zu werden oder etwas zu verpassen, fährt mit. Da helfen letzten Endes nur noch Bußgelder und Fahrverbote. Doch hier sind die Nachweishürden leider immer noch zu hoch. Aus einem Fahrverbot klagt man sich zu leicht raus.
»Beim Autofahren kann jede Sekunde, in der man abgelenkt ist, zu einem Unfall führen«
Jörg Kubitzki, Unfallforscher am Allianz Zentrum für Technik
»Ich hab’ gar nicht telefoniert…« und so weiter?
Eben, die Polizei hat es schwer. Sogar die neuen Handyblitzer auf Brücken, die erkennen, ob die Fahrerin oder der Fahrer während der Fahrt telefoniert, werden es nicht leicht haben, einen Handyverstoß immer gerichtsfest nachzuweisen. Wegen mangelnder Nachweisbarkeit finden sich daher aktuell auch noch recht wenige Ablenkungsunfälle in der amtlichen Statistik.
Kommen wir doch noch mal zum Blindflug. In einer Sekunde Ablenkung kann ja viel passieren.
Den Blick eine Sekunde auf die Technik richten, das ist juristisch ein erlaubter »kurzer Blick«. Aber wer nimmt das schon richtig wahr, ein, zwei, drei oder mehr Sekunden? Außerdem ist der Unfall ein statistisch seltenes Ereignis, es braucht lange, bis man einen erlebt – das macht sorglos, und dann kracht’s doch in der Sekunde, in der die Gedanken woanders waren. Eine Sekunde Zeitgewinn kann manchmal über Leben und Tod entscheiden.
Können Assistenzsysteme in diesen Fällen auch unterstützen?
Teils ja. Viele moderne Systeme helfen zunächst, die Folgen der Fahrfehler, die durch Ablenkung entstanden sind, ein Stück zu mindern. Alle automatischen Notbremssysteme fallen darunter, übrigens auch die nach hinten gerichteten, wenn man an Parkflächen und Fußgängerkollisionen denkt. Aber eine Warnung, die nicht aktiv eingreift, muss sehr früh einsetzen, um Abgelenkte in kritischen Phasen zurückzurufen.
Sie sprachen schon die Freisprechanlage an. Lenkt aber nicht auch das Sprechen an sich ab?
Ja, dem ist so. Zwar ist es immer noch besser als mit dem Handy in der Hand, aber man sollte sich nicht zu sehr in Sicherheit wiegen. Auch für das Freisprechen bedarf es Handgriffe und Blicke auf die Geräte. Ohne sich dessen recht bewusst zu sein, dauern Telefonate über eine Freisprechanlage deutlich länger. Was das Unfallrisiko anbelangt, stellt die Forschung weltweit bislang keine Unbedenklichkeitserklärung für Freisprecheinrichtungen oder Sprachsteuerungen aus.
»Auch Beifahrer können einiges falsch machen«
Jörg Kubitzki, Unfallforscher am Allianz Zentrum für Technik
Mal ganz abgesehen von der Technik: Auch Beifahrerinnen und Beifahrer können ablenken. Was sind deren häufigste Fehler?
Sie müssen sich vergegenwärtigen, dass Autofahren das Bedienen einer schweren Arbeitsmaschine ist. In jeder Fabrik gibt es Vorschriften. Beifahrerinnen und Beifahrer, die sich mit Smartphone und Bordcomputer befassen, animieren zum Passiv-Mitbedienen, zum Mit-Telefonieren, was die Aufmerksamkeitsverteilung betrifft. Auch Passiv-Telefonieren erhöht das Unfallrisiko, und Streit korreliert allemal mit der Unfallgefahr. Darum stimmt es: Auch Beifahrer können einiges falsch machen. Übrigens ist man verpflichtet, dafür zu sorgen, dass die Umstände beim Fahren die Sicherheit nicht beeinträchtigen. Das schließt allzu viel Unruhe im Wagen ein. Aber wenn wir hier im Allianz Zentrum für Technik das Bewusstsein dafür ein wenig fördern helfen, haben wir schon viel gewonnen.
Interview Saskia Trucks
Foto iStock/gettyimages, privat