Eine Generation steht unter Generalverdacht. Doch sind junge Menschen wirklich so sorglos und risikobereit? Hier berichten vier von ihnen, wie sie über Sicherheit und Vorsorge in Zeiten von COVID-19 denken
»Ich finde Corona-Partys unverantwortlich«
Madita Krauß
Alter: 22 Jahre
Wohnsituation und Wohnort: 4er-WG in Münster
Berufsstatus: Studentin der Psychologie, 5. Semester
Meine Meinung zu Corona-Partys: »Ich finde solche Partys unverantwortlich, vor allem gegenüber den Menschen, die besonderen Schutz vor Corona brauchen.«
»Seit Beginn der Corona-Pandemie hat sich mein studentisches Leben stark verändert: Vorlesungen und Seminare finden nicht mehr in Präsenz statt, der Kontakt zu Kommilitonen und das gemeinsame Arbeiten fehlen völlig. Mit jeder Menge Aufgaben sitze ich tagtäglich alleine vor dem Computerbildschirm – all das macht es schwer, sich zu motivieren. Gleichzeitig ist es viel schwieriger geworden, Praktikumsplätze zu finden, denn die meisten Praktikumsstätten wollen keine Studierenden einstellen, um die Anzahl an möglichen Überträgern so klein wie möglich zu halten. Für mich bedeutet das jedoch, dass ich länger studieren muss.
Auch in Sachen Aktivismus mussten wir unsere Pläne ändern: Ich engagiere mich in der Gruppe ›Psychologists for Future Münster‹, und als die Pandemie anfing, waren wir gerade dabei, Workshops und Schulungen für andere Aktivisten zu planen. Da dieses Vorhaben in Präsenz nicht mehr möglich war, haben wir stattdessen Webinare organisiert, die trotz allem viele Teilnehmer hatten. Dennoch rückt die Klimakrise immer mehr in den Hintergrund, was frustrierend ist und mir Angst macht. Denn wir müssten JETZT handeln, um die Klimakrise noch umzukehren.
Natürlich machen mich auch die Corona-Pandemie und ihre Auswirkungen ziemlich betroffen, und ich habe Angst davor, andere Menschen anzustecken. Deshalb halte ich die Corona-Regeln für richtig und habe mich zeitweise sogar noch stärker isoliert. Ich weiß, dass die Maßnahmen zu Einsamkeit und Langeweile führen können, aber es ist wichtig, dass wir alle – das betrifft sowohl die junge als auch die ältere Generation – nicht nur an die Auswirkungen auf das eigene Leben denken.«
»Vor allem habe ich Angst um meine Eltern«
Christoph Koch
Alter: 22 Jahre
Wohnsituation und Wohnort: Bei seinen Eltern in der Nähe von Kassel
Berufsstatus: Mechatronik-Auszubildender in einem großen Betrieb in Nordhessen, 3. Lehrjahr
Meine Meinung zu Corona-Partys: »Ich kann verstehen, dass vor allem junge Leute gerne raus und etwas erleben wollen, aber wir haben schon lange den Punkt erreicht, wo solche Partys einfach verantwortungslos sind.«
»Aufgrund von diversen Vorerkrankungen und weil ich Hydrocortison zu mir nehmen muss, gehöre ich zur Risikogruppe. Deswegen bin ich bereits seit Anfang März – circa zwei Wochen vor allen anderen – zu Hause geblieben und habe im Homeoffice gearbeitet. Im Juni durften wir wieder in die Firma, aber ich bin trotzdem noch einen Monat länger daheim geblieben, um das Risiko für mich zu minimieren. Im Unternehmen selbst gibt es verschiedene Corona-Maßnahmen – dennoch achte ich zu meinem Schutz nochmal verstärkt auf Abstand.
Aber auch im privaten Bereich habe ich schon frühzeitig Vorkehrungen getroffen: Ich habe mich im Gegensatz zu anderen schon früher nicht mehr mit mehreren Leuten verabredet und vorzugsweise auch nicht drinnen. Glücklicherweise habe ich keine Familienmitglieder oder Freunde, die bisher an Corona erkrankt sind. Dennoch finde ich die Situation beunruhigend und mache mir Gedanken – aber vor allem habe ich Angst um meine Eltern: Beide gehen auf die 60 zu und meine Mutter hat Asthma. Gerade wegen älteren Menschen oder Risikopatienten finde ich es daher verantwortungslos, sich in größeren Gruppen zu treffen und die Regeln zu ignorieren. Trotzdem ist das Verhalten vieler deutlich leichtsinniger geworden als beim ersten Lockdown im Frühjahr und das finde ich unsolidarisch gegenüber der Gesellschaft. Dafür können jedoch nicht pauschal junge Menschen verantwortlich gemacht werden. Die Wahrheit ist nicht schwarz oder weiß, sondern liegt vermutlich irgendwo dazwischen.«
»Ich stand vor dem Nichts«
Katharina Holzer
Alter: 18 Jahre
Wohnsituation und Wohnort: Bei ihren Eltern in Heiligenhaus, Nähe Düsseldorf
Berufsstatus: Schulabschluss 2020, derzeit unentschlossen
Meine Meinung zu Corona-Partys: »Natürlich ist die Situation für alle schwierig, aber Corona ist auf jeden Fall eine ernstzunehmende Sache, die man nicht auf die leichte Schulter nehmen sollte.«
»Zwölf Jahre lang habe ich auf meinen Abschluss hingearbeitet und mich gefreut – doch dann kam Corona: Ich konnte die letzten Wochen nicht mehr in die Schule gehen, es gab keine Mottowoche und keinen Abiball. Bei den früheren Jahrgängen hat man immer gesehen, wie toll der Abschluss sein kann, doch wir konnten lediglich eine Zeugnisvergabe mit Abstand und Maske organisieren. Das Ende kam so abrupt, dass wir den Lebensabschnitt gar nicht richtig zelebrieren konnten – das ist sehr schade.
Hinzu kommt, dass ich keinen festen Plan für die Zeit nach der Schule hatte. Ich dachte, die Welt würde mir offenstehen und ich könnte ein Freiwilligenprojekt auf Bali machen. Da Reisen dann aber nicht mehr möglich war, ist das natürlich ins Wasser gefallen, und ich stand vor dem Nichts: Für eine Ausbildung war ich zu spät dran, ein konkretes Studium hatte ich nicht im Sinn. Deshalb habe ich mir als Alternative überlegt, Praktika zu machen. Aber auch das ist momentan schwierig.
Aus Frust und Trotz haben wir zu unserem Abschluss mit circa 50 Leuten im Haus eines Mitschülers gefeiert. Das war im Juni zwar erlaubt, aber im Nachhinein würde ich sagen, dass die Feier nicht Corona-konform und nicht in Ordnung war. Trotzdem würde ich nicht unterschreiben, dass vor allem junge Menschen maßgeblich für die Verbreitung des Virus verantwortlich sind. Ich finde, man kann diesen Vorwurf allen Altersklassen machen, weswegen alle bedenken sollten: Eine Pandemie ist nur in den Griff zu bekommen, wenn wir uns alle solidarisch zeigen und uns nicht egoistisch verhalten.«
»Wir leiden wirtschaftlich extrem«
Patrick Zipfel
Alter: 29 Jahre
Wohnsituation und Wohnort: Mit seiner Freundin in Hartheim, Nähe Freiburg
Berufsstatus: Barkeeper und selbstständig mit einem mobilen Catering, einem Getränkehandel und einer Eismanufaktur
Meine Meinung zu Corona-Partys: »Ich halte davon eher nichts, vor allem, da es verboten ist und wir in unserer Branche darauf angewiesen sind, dass sich alle an die Regeln halten.«
»Ende 2015, Anfang 2016 haben wir die ›Flyingbar‹ gegründet. Angefangen mit ein paar Barelementen, betreiben wir das Ganze seit Ende 2016 ernsthaft, da wir das Potenzial erkannt haben. Seitdem sind wir immer weiter gewachsen und haben später einen Getränke- und einen Eishandel übernommen. So wurden wir neben Barkeepern auch Getränke- und Eishändler.
Somit verfolgen wir einen ganzheitlichen Ansatz und möchten Ansprechpartner für alles im Bereich der Getränke sein. 2020 hatten wir eigentlich einen so vollen Kalender, dass wir Aufträge ablehnen mussten. Doch durch die Pandemie kam alles anders, und wir leiden wirtschaftlich extrem unter der Situation: Insgesamt hatten wir viel weniger Umsatz als im Vorjahr und konnten auch unser Vorhaben, eine betriebliche Altersvorsorge bei unserem Allianz-Versicherer abzuschließen, nicht realisieren.
Als Alternative haben wir daher damit angefangen, Privathaushalte oder Firmen, die nicht in der Gastro tätig sind, zu akquirieren und ein neues Konzept für die Corona-Zeit zu entwickeln. So haben wir einen Onlineshop eingerichtet und Webinare angeboten.
Um wieder richtig in unserer Branche arbeiten zu können, ist es wichtig, dass sich alle an die Corona-Regeln halten. Ich glaube schon, dass die jungen Leute eher ein Übertragungsherd sind, aber zu sagen, dass allein sie daran schuld sind, finde ich dennoch nicht richtig und das stimmt am Ende wahrscheinlich auch nicht.«
Text Chelsea Walpert
Illustration Carolin Wabra
Fotos privat(4), Unsplash, Flickr/Internet Archive Book Image, Flickr/Biodiversity Libary, The US National Archive