Porträt Ali GüngörmüsPorträt Ali Güngörmüs

14.01.2025

»Ich war total überarbeitet«

Resilienz heißt die moderne Superkraft. Auch Sternekoch Ali Güngörmüş hat sie sich angeeignet – nachdem ihn extreme Überarbeitung an den Rand der Belastbarkeit getrieben hatte. Im Interview verrät der Spitzengastronom, wie er heute dank mentaler Stärke glücklicher und gesünder lebt.

Zur Person

Ali Haydar Güngörmüş ist ein deutscher Sterne- und Fernsehkoch. 1976 in der ostanatolischen Türkei geboren, kam er im Alter von zehn Jahren als Sohn eines Gastarbeiters nach München. Dort absolvierte er nach seinem Hauptschulabschluss eine Kochlehre.

Nach seinem Einstieg in die Gourmetküche 1995 – als Commis de Cuisine und Chefsaucier im Münchner Restaurant »Glockenbach« – arbeitete er in mehreren deutschen Sterneküchen wie dem »Tantris«. 2005 eröffnete er sein erstes eigenes Restaurant in Hamburg, das »Le Canard Nouveau«, für das er seinen ersten Michelin-Stern erhielt. Heute betreibt Güngörmüş zwei Restaurants, schreibt Bücher und tritt in TV-Shows auf.

Credit: iStock-holaillustrations

Herr Güngörmüş, Sie gelten als Perfektionist. Ist das für Sie ein Kompliment oder hören Sie das nicht gern?
Inzwischen habe ich damit meinen Frieden geschlossen. Mein Hang zur Perfektion ist ein Teil von mir, den ich ja nicht wegzaubern kann – und will. Denn die Eigenschaft hat mich im Leben enorm weitergebracht. Auf der anderen Seite hätte sie mich fast zerstört. Bis heute arbeite ich daran, dass mir Letzteres nicht mehr passiert.

Das müssen Sie erklären.
Ich war schon immer sehr ehrgeizig. Ich wollte mir und allen anderen beweisen, dass der kleine türkische Junge aus Ostanatolien mit dem Hauptschulabschluss mehr kann, als ihm damals viele zugetraut haben. Und da reichten nicht 100 Prozent, es mussten mindestens 120 sein. 

Wer hat denn nicht an Sie geglaubt?
Ach, das fing schon in der Schule an. Die Lehrerin hat mir mal gesagt, dass ich es zu nichts bringen werde. Auch in meiner Ausbildung als Koch habe ich mir abfällige Sprüche anhören müssen. Zum Teil rassistische wie »Kümmelfresser«. Obwohl ich ein guter Schüler war. Und auch meine Eltern waren am Anfang von meiner Berufswahl nicht überzeugt. In der Türkei war Kochen nur was für Frauen.

Aber dann haben Sie es allen gezeigt. In Ihrem ersten eigenen Restaurant »Le Canard Nouveau« in Hamburg haben Sie sich Ihren ersten Michelin-Stern erkocht. Warum wurde ausgerechnet Ihr größter Triumph zum Albtraum?
In dieser Zeit wäre ich fast an einem Burn-out zerbrochen. Das passierte schleichend. Erst habe ich gar nicht gemerkt, wie ich immer gereizter wurde. Dass ich meine Mitarbeitenden wegen Kleinigkeiten angeschnauzt habe. Weil die Tomaten nicht richtig geschält waren oder so was. Das tut mir bis heute leid. Und dann kam plötzlich das Herzrasen dazu. Immer wieder. Es ging nicht weg. Das waren richtige Attacken, die mich zu jeder Tages- und Nachtzeit überrascht haben. Im Restaurant, beim Autofahren, zu Hause. Einmal lag ich abends im Bett und mir hat es die Brust zugeschnürt. Ich hatte Todesangst. 

Ärzte konnten Ihnen nicht helfen?
Nein. Ich war immer wieder beim Kardiologen. Aber mit meinem Herz war alles in Ordnung. Und auch der Psychologe konnte mir nicht wirklich helfen. Er hat versucht, die Lösung für meine Probleme in der Aufarbeitung meiner Vergangenheit zu finden. Aber mit meiner Vergangenheit war alles okay. Ich hatte eine glückliche Kindheit. Ich war einfach nur total überarbeitet.

»Mein eigener Kühlschrank war leer.«

Ali Güngörmüş, Sterne- und Fernsehkoch

Wie viel haben Sie denn gearbeitet?
Das waren so 13 Stunden pro Tag. Von Montag bis Samstag. Und am Sonntag habe ich noch im Restaurant am Telefon Reservierungen von Gästen entgegengenommen. Nachts habe ich kaum geschlafen. Ich habe mich stattdessen am Nachmittag für eine halbe Stunde auf die Bank im Restaurant gelegt. Mein eigener Kühlschrank war leer. Im Nachhinein klingt das so verrückt. So offensichtlich ungesund. Aber damals war ich in meinem Hamsterrad gefangen – ohne es zu wissen. 

Wow, das ist fast eine 80-Stunden-Woche. War es die Menge an Arbeitsstunden, die Sie überlastet hat? 
Auch die Art der Arbeit. Nicht das Kochen! Das hat mir immer Spaß gemacht. Es waren Dinge wie der finanzielle Druck, dass das eigene Geschäft gut läuft. Und die Verantwortung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Auf so was wirst du in der Ausbildung nicht vorbereitet. Das hat mich überfordert. Und natürlich hat mich das schlechte Gewissen zerfressen, dass ich keine Zeit für meine damalige Partnerin und unser Baby hatte.

Und wie haben Sie aus dieser Krise herausgefunden? 
Durch den Sport. Und durch Bernhard, meinen damaligen Personal Trainer. Lustigerweise war sein Fitnessstudio genau gegenüber vom »Le Canard«. Ich hatte die Lösung eigentlich immer vor meiner Nase. Bernhard hat mir nicht nur Übungen gezeigt, die ich bis heute mache. Sondern er hat mir auch mit seiner Lebensweisheit geholfen, wieder Balance in mein Leben zu bringen. Er war damals schon Ende 50 und hat Höhen und Tiefen selbst erlebt. Ich habe ihm geglaubt, als er mir sagte: »Ali, arbeite weniger und du wirst sehen, dass die Gäste trotzdem kommen.«

»Obwohl ich weniger gearbeitet habe, konnte ich viel mehr leisten.«

Und Sie haben das durchgezogen?
Ja. Ich habe mir in der Woche zwei Tage freigenommen. Und war fast jeden Tag bei ihm im Studio. Vor allem Kardiotraining und Kraftübungen haben mir geholfen. Das Herzrasen war dann nach ein paar Wochen weg. Bis heute treibe ich vier Mal pro Woche Sport. Inzwischen sogar Yoga. Und wissen Sie, was das Beste war?

Was?
Obwohl ich weniger gearbeitet habe, konnte ich viel mehr leisten. Mein Kopf war freier. Ich fühlte mich mental stark und war kreativer.  

Heute betreiben Sie zwei Restaurants und eine Kochschule in München, schreiben Bücher und treten in TV-Shows auf. Das klingt nach mehr Arbeit als damals in Hamburg. Wie schaffen Sie es, Ihre Balance nicht wieder zu verlieren?  
Ich nehme mir immer noch Auszeiten. Die sind mir heilig geworden. Ich habe zwar Phasen, wo ich ein paar Wochen am Stück viel arbeite. Zum Beispiel, als ich für die neue Kabel-1-Staffel von »Roadtrip Amerika« einen Monat in den USA herumgereist bin. Aber danach nehme ich mir auch zwei Wochen Urlaub und überlasse das Gastrogeschäft meinen Mitarbeitenden. Dieses Loslassen und Abgeben von Verantwortung habe ich damals auch lernen müssen. Das war schwerer, als Hanteln zu stemmen.

»Verbringt eure Zeit mit Menschen, die euch guttun.«

Ist es nicht auch stressig, berühmt zu sein?
Das macht mir nichts aus. Ich wollte schon als Kind auf der Bühne stehen. Ich bin damals als Schuljunge gern mit unserer Hip-Hop-Gruppe MAC aufgetreten. Der einzige Nachteil am Ruhm ist, dass du neben vielen tollen Menschen auch viele falsche Freunde kennenlernst. Das hat mich zwischenzeitlich viel Kraft gekostet.

Inwiefern?
Nun, ich habe immer mal wieder Zeit, die ich mir mühsam freigeschaufelt hatte, mit den falschen Menschen geteilt. Das habe ich daran gemerkt, dass ich mich danach immer schlecht fühlte. Ich will hier gar keine Beispiele nennen. Es gibt Menschen, die tun einem nicht gut. Energiesauger. Dagegen hilft die beste Resilienz nichts. Ich kann nur allen raten: Verbringt eure Zeit mit Menschen, die euch guttun. Das gehört auch zu einem gesunden Lebensstil.

Und wie sieht heute Ihre Ernährung aus?
Viel besser! Mein Kühlschrank ist wieder gefüllt. Ich nehme mir sogar Zeit, mehr für meine Freunde und Familie zu kochen. 

Text Sonja Hoogendorn
Foto Sandra Eckardt

Das könnte Sie auch interessieren