Keine tierischen Produkte, kein Alkohol: Zum Jahresanfang machen viele Menschen bei Verzichtsaktionen wie »Veganuary« oder »Dry January« mit. Wir wollten wissen: Was bringt das für die Gesundheit?
Drei, zwei, eins – Mitternacht! Pünktlich um 24 Uhr am 31. Dezember erstrahlt der Himmel in blinkenden, bunten Farben. Champagnergläser klirren, Menschen liegen sich in den Armen, wünschen einander das Beste fürs neue Jahr. Und dann gibt es da natürlich noch etwas, das für viele untrennbar mit Silvester verbunden ist: die guten Vorsätze. Ganz weit vorne liegt dabei – auf Platz drei nach Sparen und mehr Sport treiben – der feste Entschluss, sich künftig gesünder zu ernähren.
Doch wie das mit den guten Vorsätzen eben leider so ist: Nach ein paar Tagen sind sie meistens schon wieder vergessen. Nur etwa jeder Fünfte hält sie laut einer Statista-Umfrage auch wirklich auf Dauer durch. Ein bisschen Unterstützung kann da also nicht schaden – beispielsweise in Form eines »Januar-Experiments«. Hierbei geht es nicht gleich ums große Ganze, sondern darum, zunächst nur zeitlich begrenzt, nämlich 31 Tage, ein neues Ernährungskonzept auszuprobieren – und das kann der Sache schon mal den Schrecken nehmen.
»Veganuary«: Rein pflanzlich für Umwelt und Gesundheit
Ebenfalls erleichternd: Wer unsicher ist, braucht sich der Herausforderung zum Glück nicht mutterseelenallein zu stellen. Gerade auf Social Media gibt es mittlerweile eine große Community, die sich gegenseitig bestärkt und mit Rat, Tat und vielen Tipps zur Seite steht. Einen der größten Hypes hat dabei der »Veganuary« ausgelöst. Die Kampagne wurde 2014 von den befreundeten Briten Jane Land und Matthew Glover initiiert, um ihre Mitmenschen dazu einzuladen, sich probeweise einen Monat lang – und dann vielleicht sogar über den Januar hinaus – vegan zu ernähren. 2015, ein Jahr nach dem Start, schlossen sich bereits 12.500 Follower der Challenge an. 2024 waren es weltweit rund 1,8 Millionen, die sich inspirieren ließen und die täglichen News via E-Mail, den englischsprachigen Podcast oder die vielen Online-Rezepte der gemeinnützigen Organisation nutzten.
Als Hauptgrund dafür, eine rein pflanzliche Ernährung ausprobieren zu wollen, nennen die meisten »Veganuary«-Fans den Umwelt-, Klima- und Tierschutz. Sie wollen aber auch testen, ob und wie sich der Verzicht auf tierische Lebensmittel auf ihre Gesundheit auswirkt.
Von wissenschaftlicher Seite wurde das bereits mehrfach untersucht – beispielsweise von einem Forschungsteam der Universität Bologna. 23 Jahre lang haben die Wissenschaftler:innen Daten von Probanden jeden Alters gesammelt und festgestellt, dass eine pflanzliche Ernährung das Risiko für die weltweit häufigsten Todesursachen, nämlich Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs, verringern kann. Veganer:innen, so das Ergebnis, hatten bessere Cholesterin- und Blutzuckerwerte, waren schlanker und wiesen weniger Entzündungen im Blut auf. Zu einem nahezu identischen Ergebnis kam auch eine Studie der renommierten Stanford University, die mit mehreren eineiigen Zwillingspaaren durchgeführt wurde, um eine möglichst gute Vergleichbarkeit zu erhalten. Einer der Zwillinge ernährte sich pflanzlich, der andere weiterhin mit gemischter Kost. Erstere hatten nach acht Wochen signifikant bessere Blutfettwerte und darüber hinaus deutlich abgenommen.
»Es kann nicht schaden, die eigenen Ernährungsgewohnheiten immer mal wieder auf den Prüfstand zu stellen«
Antje Gahl, Diplom-Ökotrophologin
Den Januar als Testphase für gesünderes Essen zu nutzen – diese Idee findet auch Diplom-Ökotrophologin Antje Gahl von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) gut. »Es kann nicht schaden«, sagt sie, »die eigenen Ernährungsgewohnheiten immer mal wieder auf den Prüfstand zu stellen, sich damit zu beschäftigen, was man seinem Körper eigentlich täglich so zuführt. Ein Neujahrsvorsatz kann da sicher einen Denkanstoß geben und vielleicht sogar dazu beitragen, langfristig etwas zum Positiven zu verändern.« Allerdings müsse laut DGE-Einschätzung die Ernährung nicht direkt auf vegetarisch oder gleich komplett auf vegan umgestellt werden. »Unsere Empfehlung, die wir gerade erst im Hinblick auf Gesundheits- und Umweltaspekte modifiziert haben, geht dahin, den Fleischkonsum stark zu reduzieren. Fleisch und Wurstwaren bieten zwar gut verwertbares Eiweiß, insgesamt 300 Gramm pro Woche sind aber mehr als ausreichend.« Wichtig sei vor allem, den Anteil an Gemüse, Vollkornprodukten und Hülsenfrüchten zu erhöhen, möglichst »bunt« und saisonal zu essen und auf stark industriell verarbeitete Lebensmittel sowie Fertigprodukte weitestgehend zu verzichten.
Bei vegetarischer und noch mehr bei veganer Ernährung müsse man außerdem darauf achten, alle essenziellen Vitamine und Nährstoffe in ausreichender Menge zu sich zu nehmen, allen voran Vitamin B12 und Jod. »Das setzt voraus«, so Antje Gahl, »dass man sich intensiv mit seinem Essen beschäftigt, weiß, was der Körper braucht, um gesund zu bleiben, die Alternativen kennt und regelmäßig ein Vitamin-B12-Präparat und gegebenenfalls weitere Nährstoffe einnimmt.«
An Silvester den letzten Schluck Alkohol: »Dry January«
Doch für welche Ernährungsweise man sich auch entscheide, es gelte immer ein Grundsatz, so Gahl: »Es gibt keine falschen Lebensmittel – nur einen falschen Umgang damit.« Den zu überdenken, ist auch das Ziel eines weiteren Neujahrs-Experiments: des »Dry January«. Die Initiative, ursprünglich 1942 in Finnland als »Sober January« (»nüchterner Januar«) ins Leben gerufen, weil der Alkoholkonsum während des Krieges explodiert war, trat ihren weltweiten Siegeszug an, als vor zehn Jahren die gemeinnützige Organisation »Alcohol Change« in Großbritannien landesweit eine ähnliche Kampagne startete und sich den Namen »Dry January« schützen ließ.
Auch in Deutschland nehmen seither immer mehr Menschen an der Aktion teil. Immerhin steht Alkohol laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) mit 200 verschiedenen Krankheiten in Verbindung. Wer sich für den »Dry January« registriert und sich per Internet oder App mit Tipps versorgen lässt, will in der Regel seine körperliche und geistige Gesundheit fördern und seine persönliche Beziehung zu Alkohol überdenken. Tatsächlich kann – wie bei »Veganuary« – der zunächst begrenzte Verzicht zu nachhaltigen Ergebnissen führen, wie eine Studie der Universität von Sussex unter Leitung des Psychiaters Dr. Richard de Visser ergab. Acht Monate nach dem abstinenten Jahresbeginn trank der Großteil der 800 Teilnehmenden insgesamt seltener und auch nicht mehr so viel Alkohol. Über 70 Prozent berichteten außerdem von einem verbesserten allgemeinen Gesundheitszustand, erholsamen Schlaf und einer höheren Leistungsfähigkeit. Gut jede:r Zweite hatte zudem deutlich an Gewicht verloren und freute sich über schönere Haut und eine gesteigerte Konzentrationsfähigkeit.
Auch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) bestätigt den gesundheitlichen Nutzen des »trockenen Januars« und informiert: »Mit hohem Alkoholkonsum gehen insbesondere Leber- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen einher. Das Risiko, an Krebs zu erkranken, steigt, das Immunsystem wird geschwächt und es kommt leichter zu Infekten. Darüber hinaus schädigt Alkohol das Gehirn, fördert Übergewicht und kann unter anderem zu Depressionen oder Angstzuständen führen.« Doch schon wenige Wochen ohne Alkohol würden zu einer Verbesserung des Allgemeinzustands führen.
Bei all den guten Vorsätzen sollte eines aber nicht auf der Strecke bleiben: die Lebensfreude. Auf dem Weg zu einem dauerhaft gesünderen Lifestyle, da sind sich die Expert:innen einig, führen kleine Schritte eher ans Ziel als große Sprünge, die keiner durchhält. Die Januar-Experimente sind da sicherlich ein guter Start. Der Countdown läuft…
Zwei Erfahrungsberichte: Das können die Januar-Experimente verändern
Nina Tümmers hat durch den »Veganuary« ihr Leben umgekrempelt
Ich verzichte seit vielen Jahren auf Fleisch und hatte schon länger mit der veganen Ernährung geliebäugelt – auch, weil viele Freunde von mir vegan leben. Irgendwie dachte ich jedoch immer, dass es sehr kompliziert und aufwendig sei, auf rein pflanzliches Essen umzusteigen. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie ich das in unseren Alltag integrieren sollte. Als mein Mann dann 2020 bei Instagram auf »Veganuary« stieß, wurde ich aber doch neugierig und wollte es einfach mal ausprobieren.
Besonders toll fand ich an dem Januar-Experiment, dass man dabei so gut an die Hand genommen wird. Schon im Dezember gibt es eine Einkaufsliste, immer auch mit Alternativen zu allen möglichen Lebensmitteln. Ich habe zum Beispiel erst einmal verschiedene Pflanzenmilch-Arten ausprobiert, um zu testen, welche mir schmeckt. Außerdem finden sich im täglichen Newsletter viele nützliche Hinweise, darunter auch, wie man Etiketten liest, um sicher zu sein, dass die Lebensmittel wirklich vegan sind, auch ohne V-Label.
Was mir schwerfiel in den ersten Wochen, war der Verzicht auf Käse. Als Schokoholic fand ich auch erst einmal nichts, was auch nur annähernd meine Lieblingssüßigkeit ersetzen konnte. Nachdem ich aber mehr und mehr in das Thema eingetaucht war und vieles ausprobiert hatte, war ich immer begeisterter von veganer Ernährung.
Für mich war mein erster »Veganuary« die Initialzündung dafür, komplett auf vegane Ernährung umzustellen – einfach, weil es mir damit besser ging. Darüber hinaus beschäftigte mich das Thema so sehr, dass ich dafür sogar meinen ursprünglichen Job aufgab, der mich schon eine Zeit lang nicht mehr glücklich gemacht hatte. Stattdessen absolvierte ich eine Ausbildung zur Ernährungsberaterin für vegetarische und vegane Kostformen. Und dann erfüllte ich mir auch noch einen Traum: Im Juni 2022 eröffnete ich bei uns im Kempen ein veganes Café, das super angenommen wurde. Ich fühle mich ganz bei mir angekommen und könnte nicht glücklicher sein.
Katherina Kleinerts »Dry January« findet diesmal im Februar statt
Ein Glas Wein mit meinem Freund abends auf dem Sofa, ein paar leckere Cocktails unterwegs mit den Mädels, ein Umtrunk mit den Kollegen und Kolleginnen, Partys, Geburtstagsfeiern, Oktoberfest: Es ist keineswegs so, dass ich viel oder gar zu viel Alkohol trinke, aber ich trinke ihn eben regelmäßig und auch gerne. Dieses Routine-Verhalten wollte ich einfach mal unterbrechen. Deshalb beschloss ich erstmals vor zwei Jahren, die Challenge »Dry January« anzunehmen und einen Monat lang konsequent auf Alkohol zu verzichten. Ganz besonders interessiert hat mich dabei auch der Fitnessgedanke. Da ich mal einen Bandscheibenvorfall hatte, treibe ich sehr viel Sport und war neugierig, wie sehr sich die Abstinenz auf meinen Körper, meine Leistungsfähigkeit auswirkt.
Der vierwöchige Verzicht selbst hat mir keinerlei Probleme bereitet. Ein bisschen genervt hat allerdings, dass man sich ständig erklären muss: Warum machst du das? Wie geht es dir damit? Kannst du heute nicht mal eine Ausnahme machen? Und – als Frau im gebärfähigen Alter – natürlich auch die ständig wiederkehrende Frage, ob ich denn schwanger sei. Aber gut. Ich habe dann halt über meine Motivation gesprochen und letztlich doch immer ein positives Feedback, Verständnis und oft auch Anerkennung erhalten. Außerdem hatte ich die volle Unterstützung meines Freundes. Er selbst hat zwar, wenn wir ausgegangen sind, nicht völlig auf Alkohol verzichtet, aber bei uns zu Hause schon.
Rückblickend war gleich mein erster »Dry January« ein echter Erfolg. Ich habe mich danach wirklich gut gefühlt, irgendwie wacher, fitter und motivierter, insgesamt gesünder zu leben, auch gesünder zu essen. Sogar mein Geschmackssinn hat sich in dieser Zeit verbessert. Tatsächlich hat sich bei mir auch bestätigt, was ich mal in einer Studie gelesen hatte: Nämlich dass man durch den »Dry January« das ganze Jahr über weniger trinkt. Klar gehört bei manchen Gelegenheiten ein guter Wein oder ein leckerer Cocktail dazu. Aber ich kann von mir sagen, dass ich mittlerweile viel bewusster zu Alkohol greife oder ihn einfach auch komplett weglasse, wenn ich feiern gehe. Inzwischen lege ich sogar auch vor dem Oktoberfest ein paar »Fasten«-Wochen ein, und der »Dry January« gehört für mich jetzt zu meinen neuen Ritualen. Dieses Jahr allerdings habe ich ihn auf Februar verschoben. Ich war nach Silvester im Mexiko-Urlaub. Da wollte ich schon auch mal einen Tequila trinken.
Text Gaby Ullmann
Fotos iStock/tolgart; privat; Erik Mosoni