Forscher und Forscher:innen entdecken immer mehr Faktoren für ein langes, gesundes Leben. Zum Beispiel unsere Gene. Biomediziner Joris Deelen erklärt, welche Rolle sie spielen und wie wir das Altern selbst hinauszögern können
Zur Person
Joris Deelen, geboren 1985, arbeitet am Kölner Max-Planck-Institut für Biologie des Alterns. Der Biomediziner erforscht, warum einige Menschen gesünder altern als andere und welche Therapien sich daraus ergeben könnten.
Herr Deelen, wir Menschen werden immer älter. Lag die Lebenserwartung in Deutschland im Jahr 1875 bei durchschnittlich 38,4 Jahren, beträgt die Prognose heute 83 Jahre. Woran liegt das?
Dazu haben wir vor allem selbst beigetragen. Wir haben es in den vergangenen 150 Jahren geschafft, unser Leben durch Fortschritte in der Medizin zu verlängern. Und der technische Fortschritt sorgte dafür, dass wir unsere Arbeit immer leichter und sicherer absolvieren konnten. Er verbesserte auch die Nahrungsverfügbarkeit.
Wir haben also unsere Umwelt so optimiert, dass wir immer länger leben können. Denken Sie, dass wir heute das Potenzial schon voll ausgeschöpft haben? Oder geht da noch was?
Kurzfristig nein. Die Französin Jeanne Calment hält immer noch den Rekord als ältester Mensch. Sie wurde 122 Jahre alt. Seit 27 Jahren ist niemand älter geworden. Trotz Umweltoptimierung sind Altersrekorde nicht im gleichen Maße gestiegen. Wir nähern uns allmählich der natürlichen maximalen Lebensspanne. In einigen Ländern wie den USA ist die Lebenserwartung sogar rückläufig. Grund ist dort die steigende Zahl übergewichtiger Menschen und deren frühere Mortalität.
Es gibt aber Wissenschaftler wie den britischen Bioinformatiker Aubrey de Grey, der uns ein biblisches Alter von 1000 Jahren prophezeit. Glauben Sie daran?
Vielleicht in 1000 Jahren. (lacht) Nein, im Ernst: Aktuell ist das noch Science-Fiction. Unsere Gene sind einfach nicht darauf ausgerichtet, den Körper so lange zu erhalten. Noch können wir trotz Medizin und gesundem Lebensstil den Verfall der Zellen nicht aufhalten.
»Wir sind genetisch programmiert, Nachwuchs zu zeugen und ihn so lange großzuziehen, dass er überleben kann. Danach gibt es keine biologische Verwendung mehr für uns«
Warum verfallen unsere Zellen?
Für die Natur ist der Sinn des Lebens die Fortpflanzung. Wir sind genetisch programmiert, Nachwuchs zu zeugen und ihn so lange großzuziehen, dass er überleben kann. Danach gibt es keine biologische Verwendung mehr für uns. Unser Körper verfällt und stirbt. Das ist so brutal wie einfach. Leider.
Es gibt allerdings sehr vielversprechende Forschungsansätze zur Zellverjüngung.
Das stimmt. Forscher:innen entwickeln und optimieren gerade Methoden, wie man bestimmte Zellen in einen jüngeren Zustand umprogrammieren kann. Das Feld ist hoch spannend, aber auch noch am Anfang. Es geht immer nur um einzelne Zelltypen, die man verjüngen kann. Bis wir so weit sind, die Uhr für den ganzen Körper zurückzudrehen, werden noch Jahrzehnte vergehen.
Aber dann wären 1000 Jahre realistisch?
1000 Jahre sind möglich – irgendwann. Aber wie gesagt, die Forschung hierzu steckt noch im Mäusestadium. Ob die ersten Testergebnisse an Nagern auf Menschen übertragbar sind, weiß man noch nicht.
Trotzdem scheinen Wissenschaftler:innen heute in rasantem Tempo neue Erkenntnisse über die Langlebigkeit zu gewinnen. Woran liegt das?
Ich denke, es ist die Überschneidung von Innovationen in Medizin und Technik. Wir können heute dank künstlicher Intelligenz in Rekordzeit Daten auswerten und Zusammenhänge zwischen unterschiedlichen Faktoren bilden. Die Zusammensetzung der Darmflora oder das gesamte Erbgut eines Menschen kann heute etwa schnell analysiert und mit globalen Datenbanken abgeglichen werden. In ähnlichem Tempo werden Erkenntnisse aber auch wieder revidiert.
Können Sie dafür ein konkretes Beispiel nennen?
Etwa die sogenannten blauen Zonen. Das sind Regionen, in denen besonders viele Hundertjährige leben sollen. Dazu gehören Sardinien in Italien, Okinawa in Japan oder die griechische Insel Ikaria. In den vergangenen Jahren waren das Hotspots für die Altersforschung. In aktuellen Studien wurden die Daten überprüft. Ergebnis: Die heute über Hundertjährigen aus diesen Regionen haben meist keine Geburtsurkunde. Wie alt sie wirklich sind, kann niemand belegen. Darüber hinaus ist die Lebenserwartung auf der Insel Okinawa inzwischen niedriger als auf dem japanischen Festland. Forschende führen dies auf die zunehmend westliche Ernährung auf der Insel zurück.
»Unser Ziel ist nicht, dass wir alle 1000 Jahre alt werden. Es geht uns darum, dass wir alle möglichst gesund altern«
Auch Sie forschen derzeit am Max-Planck-Institut für Biologie des Alterns, wie man menschliche Gene so beeinflussen kann, damit wir länger leben.
Nicht ganz. Unser Ziel ist nicht, dass wir alle 1000 Jahre alt werden. Es geht uns darum, dass wir alle möglichst gesund altern. Denn wir leben heute zwar länger, aber die Mehrheit der Menschen leidet am Ende des Lebens an körperlichen Einschränkungen, etwa durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Krebs. In der alternden Bevölkerung tauchen sogar vermehrt Krankheiten auf, die es zuvor kaum gab, zum Beispiel Alzheimer.
Wie kann Ihre Forschung zur Verbesserung beitragen?
Wir suchen in der DNA von besonders alten und gesunden Menschen nach Merkmalen, die erklären, warum sie überdurchschnittlich lange leben. Das sind Menschen, deren Vorfahren auch schon auffällig alt wurden, die also offenbar eine Anlage zum Altwerden haben. Wir haben bereits einige genetische Varianten gefunden, von denen wir glauben, dass sie zum Schutz vor altersbedingten Krankheiten und damit zum gesunden Altern beitragen könnten. Aber wir gehen davon aus, dass es noch viele weitere gibt.
Und wie könnte das der Allgemeinheit nutzen?
Das langfristige Ziel unserer Forschung ist es, ein Medikament zu entwickeln, das die Wirkung dieser genetischen Varianten imitiert, und es in klinischen Studien zu testen. Aber dieser letzte Schritt ist noch sehr weit entfernt.
Welchen Anteil haben die Gene bei der Bestimmung der Lebenserwartung?
Wir gehen heute von bis zu 20 Prozent aus. Wir können unser Alter folglich zu 80 Prozent selbst beeinflussen. Eine gesunde Ernährung und viel Bewegung spielen dabei eine entscheidende Rolle.
Möchten Sie eigentlich 1000 Jahre alt werden?
Oh nein! Da wäre mir fürchterlich langweilig. 90 Jahre und dabei immer gesund sein, das ist mein Ziel.
Tun Sie etwas, um dieses Ziel zu erreichen? Als Biomediziner kennen Sie sich ja mit Verjüngungsstrategien aus.
Ich bin zwar ein Wissenschaftler, der es besser wissen sollte – aber leider auch nur ein Mensch. Obwohl ich weiß, wie wichtig Sport und gesunde Ernährung für ein langes Leben sind, bin ich ganz schön faul. Aber ich rauche nicht und trinke wenig Alkohol. Und ich habe es geschafft, eine gesunde Schlafroutine zu finden. Das ist ebenfalls sehr wichtig.
Fünf Tipps für ein langes Leben:
1. Weniger ist mehr: Studien haben gezeigt, dass eine kurzfristige, leichtere Kalorienreduktion (minus zwölf Prozent) positive Auswirkungen auf die Gesundheit hat. Zum Beispiel können der Stoffwechsel angeregt, Entzündungen gehemmt und die Lebensdauer verlängert werden. Durch die Reduktion wird in den Zellen ein Überlebensmodus aktiviert, der Reparatur- und Recycling-Mechanismen anwirft. Die führen dann dazu, dass die Zellen sich regenerieren.
2. Die Besser-Esser: Die »Blauen Zonen« mit ihren angeblich vielen überdurchschnittlich alten Bewohner:innen sind in der Wissenschaft umstritten. Doch Forscher haben herausgefunden, dass die Ernährung mit viel Fisch oder Olivenöl dort durchaus verjüngende Effekte hat. Studien zeigen, dass die mediterrane Ernährung einen Einfluss auf die Darmflora hat. Die Zahl schädlicher Bakterienarten wird verringert und die mit gesundheitsfördernden Eigenschaften erhöht.
3. Alles fit: Wer auch im Alter regelmäßig Sport treibt, kann körperliche und geistige Alterserscheinungen hinauszögern. Sport aktiviert etwa das Immunsystem, stärkt die Muskulatur und fördert die Gedächtnisleistung. Um einen dauerhaften verjüngenden Effekt zu erzielen, muss man sich am besten täglich bewegen. Eine halbe Stunde Sport wie Radfahren oder flottes Spazierengehen reicht aus. Zugleich senkt Sport das Sterblichkeitsrisiko durch Herzinfarkt oder Krebs massiv.
4. Abwechslung fürs Gehirn: Man muss kein Schachprofi sein, um geistig fit zu bleiben. Im Gegenteil: Der Trick ist, sich regelmäßig neuen geistigen Herausforderungen zu stellen und seine Routinen zu durchbrechen. Das kann man schon damit erreichen, sich mit der anderen Hand die Zähne zu putzen. Auch soziale Interaktion macht geistig agiler. Gerade ältere Menschen sind zunehmend sozial isoliert, haben keine Familie oder Freunde mehr. Das erhöht das Risiko für Depressionen.
5. Stress lass nach: Dauerhafte Stressbelastungen machen alt. Wissenschaftler:innen haben nachgewiesen, dass Stress Zellen im Körper zerstört und altersbedingte Erkrankungen fördern kann. Eine neue Studie zeigt aber, dass Stress ab circa 60 Jahren nachlässt. Den Höhepunkt der Überlastung erreichen die meisten Menschen in ihren Vierzigern. Denn dann dominieren Stressauslöser den Alltag, wie Kinder, Karriere, Lebenskrisen wie Scheidung oder Pflege von Angehörigen.
Text Sonja Hoogendoorn
Fotos Max-Planck-Institut, iStock