22.08.2024

Arbeiten im Home Office: Für den Rücken Chance und Risiko zugleich

Auf Infoscreens in ganz Deutschland erscheinen derzeit Gesundheitstipps, präsentiert von der Allianz Private Krankenversicherung. 1890 digital nimmt die Ratschläge auf – und vertieft das Wissen in Experteninterviews. Teil 16: Stundenlanges Sitzen hat Folgen für die Rückengesundheit. Ergonomieberaterin und Physiotherapeutin Susanne Weber gibt Tipps zu Übungen und zur Wahl des richtigen Arbeitsplatzes

Zur Person

Physiotherapeutin und Ergonomieberaterin Susanne Weber erkannte nach 10 Jahren Arbeit in einer orthopädischen Praxis, dass der Arbeitsplatz oft der Auslöser für körperliche Schmerzen ist. Vor 25 Jahren gründete sie daher ihre Firma ergoimpuls, mit der sie seither Unternehmen und deren Mitarbeiter in allen Fragen der ergonomischen Arbeitsplatzgestaltung berät. Ihre Privatpraxis befindet sich in Sinzing bei Regensburg.

Welche Vorteile bietet das Arbeiten im Home Office für die Rückengesundheit im Vergleich zum klassischen Büro?
Ein klarer Vorteil des Home Office ist die Flexibilität bei der Gestaltung des Arbeitsplatzes. Ob im Sitzen, im Stehen oder sogar bei einem Spaziergang – das Arbeiten kann individuell an die eigenen Bedürfnisse angepasst werden. Auch kurze Lockerungsübungen oder ein Power-Nap lassen sich einfacher in den Tagesablauf integrieren. Zudem entfällt der tägliche Arbeitsweg, was Rückenbelastungen durch längeres Sitzen im Auto oder in öffentlichen Verkehrsmitteln reduziert.

Und welche Nachteile sehen Sie?
Das Home Office erfordert ein hohes Maß an Selbstdisziplin. Der fehlende direkte Kontakt zu Kolleginnen und Kollegen kann dazu führen, dass man sich schwerer vom Schreibtisch losreißen kann, da niemand zur gemeinsamen Kaffee- oder Essenspause auffordert. Auch die psychische Komponente spielt eine Rolle: Wer im Home Office arbeitet, fühlt sich möglicherweise eher isoliert oder mit Problemen alleingelassenen. Der daraus resultierende Stress und die Überlastung können zu Muskelverspannungen und Rückenschmerzen führen.

Ein weiterer Nachteil ist die oft unzureichende ergonomische Ausstattung zu Hause. Viele Arbeitnehmer:innen erhalten von ihrer Firma lediglich einen Laptop und ein Mobiltelefon – das reicht zum Arbeiten, ist aber für die Rückengesundheit ungenügend. Selbst wenn größere Monitore und externe Tastaturen zur Verfügung stehen, schrecken viele davor zurück, diese für ein, zwei Tage Home Office in der Woche aufzubauen.

Hat sich bei den Unternehmen mittlerweile etwas getan für mehr Rückengesundheit?
In den letzten zehn Jahren habe ich eine enorme Verbesserung beobachtet: Erfreulicherweise investieren viele Unternehmen zunehmend in ergonomische und flexible Arbeitsmittel. Fast alle neu eingerichteten Büros sind mit höhenverstellbaren Schreibtischen ausgestattet, auch die Auswahl an ergonomischen Bürostühlen, die sich an verschiedene Körperproportionen anpassen, hat zugenommen. Zwei Bildschirme sind mittlerweile Standard. Mittlerweile sind auch viele Besprechungsräume so konzipiert, dass Mitarbeitende nicht zwingend am Tisch sitzen müssen.

»Nur etwa 20 Prozent der Menschen haben ein separates Arbeitszimmer.«

Physiotherapeutin Susanne Weber

Was sind Ihre Beobachtungen zur Situation im Home Office?
Wenn es keine Unterstützung vom Arbeitgeber gibt, ist die ergonomische Ausstattung im Home Office deutlich schlechter. Und: Nur etwa 20 Prozent der Menschen haben ein separates Arbeitszimmer. In Paar-Haushalten ist es meiner Erfahrung nach so, dass überwiegend die Männer in diesem Raum sitzen, während die Partnerin sich zum Beispiel am Küchentisch mit dem Laptop arrangieren muss. Zu Problemen kann es aber auch führen, wenn sich Paare einen Arbeitsplatz teilen. In vielen Fällen sind Tisch und Stuhl nicht flexibel einstellbar und passend für beide Körpergrößen. Auch Platzmangel kann zu gesundheitsschädlichen Lösungen führen: Das extremste Beispiel, das ich gesehen habe, war ein Mann, der seinen Arbeitsplatz im Kleiderschrank im Schlafzimmer eingerichtet hatte.

Welche Maßnahmen lassen sich leicht in den Arbeitsalltag integrieren, um Rückenschmerzen zu vermeiden?
Ein »Ich arbeite durch und mache eine halbe Stunde früher Schluss« ist nicht empfehlenswert. Spätestens nach etwa 90 Minuten Arbeit sollte eine kurze Pause eingelegt werden, um den Rücken zu entlasten. Empfehlenswert sind einfache Übungen, die leicht zwischendurch durchgeführt werden können. Hier eignet sich besonders das Programm „my daily moving“.  Das sind vier einfache Bewegungen, durch die man Energie auftankt, den Rücken entlastet, die Faszien aktiviert und rundum fit wird. Hier eine kurze Anleitung: 

  1. Krone: von den Fußsohlen beginnend nach oben strecken und wieder locker lassen.
  2. Medaille: nach vorne beugen, als ob man eine Medaille um den Hals gehängt bekommt, dann leicht zurückbeugen.
  3. Palme: Becken nach rechts und Oberkörper nach links sinken lassen, dann auf der anderen Seite wiederholen
  4. Schraube: Becken und Oberkörper nach links und dann nach rechts drehen; locker zurückschwingen.

Wie sollte ich aktiv werden?
Ich empfehle eine tägliche Bewegung-Routine. Wer unter Verspannungen durch Stress oder Fehlhaltungen leidet, kann mit Bewegung jederzeit etwas dagegen tun. Entscheidend ist, dass man etwas findet, was zu einem passt und Spaß macht. Ob man Lust hat, sich eine Viertelstunde mit dem Hula-Hoop-Reifen zu bewegen oder in der Mittagspause einen kleinen Spaziergang an der frischen Luft zu machen – alles ist erlaubt. Mein Motto: Bewegung, Bewegung, Bewegung!

Text Maria Dünninger
Foto Simon Koy, privat

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