13.08.2024

Rückenprobleme bei Schulkindern: Das sollten Eltern wissen

Auf Infoscreens in ganz Deutschland erscheinen derzeit Gesundheitstipps, präsentiert von der Allianz Private Krankenversicherung. 1890 digital nimmt die Ratschläge auf – und vertieft das Wissen in Experteninterviews. Teil 15: Sportwissenschaftler Dr. Dieter Breithecker erklärt die Gründe für Rückenprobleme bei Kindern. Die schwere Schultasche ist es oftmals nicht

Zur Person

Dr. Dieter Breithecker ist Sport- und Bewegungswissenschaftler. Seit mehr als 40 Jahren beschäftigt er sich mit den evidenzbasierten Zusammenhängen von Bewegung und Gesundheit, insbesondere bei Kindern und Jugendlichen. Die meiste Zeit davon als Leiter der Bundesarbeitsgemeinschaft für Haltungs- und Bewegungsförderung e.V. Dem gesellschaftlichen Wandel geschuldet, fokussiert sich sein gegenwärtiger Schwerpunkt auf das Thema »Ergonomie und Raum«.

Wie verbreitet sind heutzutage Rückenprobleme bei Schulkindern?
Laut internationalen Schätzungen sind zwischen 20 und 70 Prozent betroffen. Die große Spanne kommt daher, dass die Zahlen den gesamten Kinder- und Jugendbereich betreffen. Bei Kindern im Grundschulalter sind circa 20 Prozent betroffen; je älter sie werden, desto verbreiteter sind Rückenprobleme.

Was sind die Hauptursachen von Rückenproblemen bei Kindern?
Bei Kleinkindern können diverse entzündliche Erkrankungen oder Infektionen vorliegen. Ansonsten kann es auch eine Skoliose sein, eine angeborene seitliche Verkrümmung der Wirbelsäule. Aber eigentlich sind es bei Kindern eher psychosoziale Faktoren, also emotionale Belastungen, Stress oder soziale Isolation. Diese psychischen Belastungen führen zu Verspannungen in der Rückenmuskulatur. Wenn der Stress nicht ausgeglichen wird, zum Beispiel durch Bewegung, dann endet das Ganze mit Rückenschmerzen, genau wie im Erwachsenenalter. Der Rücken darf nicht isoliert betrachtet werden. Er ist immer Teil eines komplexen Ganzen, einer sich wechselseitig beeinflussenden Einheit aus Körper und Seele.

Wie steht es um die Rückengesundheit von Grundschüler:innen?
Häufig weisen Kinder schon beim Grundschulstart motorische und biologische Defizite auf. Dies hängt mit einem zunehmenden Bewegungsmangel zusammen. Kinder verbringen zu viel Zeit mit digitalen Medien, anstatt sich dem Alter und den Entwicklungsprozessen entsprechend vielseitig zu bewegen. Sie sollten mehrere Stunden am Tag in der Natur spielerisch aktiv sein, die Welt erkunden und viele Erfahrungen sammeln. Dazu zählen unter anderem, auf Bäume zu klettern, in Pfützen zu springen oder auf Mauern beziehungsweise Baumstämmen zu balancieren. Fehlen solche selbstverständlichen Entwicklungsreize, werden Entwicklungsprozesse gestört.

»Kinder, die sauber nach Hause kommen, haben sich nicht angemessen bewegt.«

Dr. Dieter Breithecker

Ihr grundsätzlicher Rat an Eltern?
Sie sollten ihren Kindern mehr zutrauen und ihnen mehr Freiheiten lassen, um ihre natürliche Bewegungsfreude zu fördern. Dazu gehören auch Wagnis- und Risikoerlebnisse und die Möglichkeit, sich ungestraft schmutzig zu machen. Kinder wollen Dinge ausprobieren, und das sollte man im altersgerechten Rahmen auch ermöglichen. Sie lernen damit, Gefahren besser einzuschätzen. Kinder, die sauber nach Hause kommen, haben sich nicht angemessen bewegt. Leider wirken Erwachsene heute sehr ängstlich und überbehütend auf natürliche Verhaltensweisen der Kinder ein. Das ist eine Entwicklung, die Jahre später zu vielfältigen gesundheitlichen Konsequenzen führt. Wir können zunehmend feststellen, dass aufgrund des Bewegungsmangels Menschen nicht nur häufiger übergewichtig werden, sondern bereits im mittleren Lebensalter Krankheiten wie beispielsweise Diabetes Typ 2 aufweisen, die eigentlich erst viel später auftreten. 

Ist auch die zu schwere Schultasche schuld an Rückenschmerzen? Worauf sollte beim Kauf eines Ranzens geachtet werden?
Wenn ein Kind eine große Schultasche auf dem Rücken trägt, dann ist die Besorgnis der Eltern groß, dass das Kind überlastet wird und Haltungsschäden bekommt. Es ist aber längst belegt, dass die gängigen Schulranzen heute die wichtigen ergonomischen Anforderungskriterien erfüllen und somit dem Rücken der Kinder nicht schaden. Dann sind bei gesunden Kindern 17 bis 20 Prozent des Körpergewichts tolerierbar. Und: Ein Kind, das gewohnt ist, einen Schulranzen zu tragen, trainiert damit automatisch seine Muskulatur und somit seine Belastungsverträglichkeit. 

Gibt es Übungen, die Kinder zu Hause machen können, um ihren Rücken zu stärken?
Ja, natürlich gibt es Übungen, aber in der Regel entsprechen sie nicht den spielerischen Bedürfnissen der Kinder. Ihnen macht es keinen Spaß, vorgegebene Rückenübungen zu absolvieren. Kinder sollten sich aus einem spielerischen Impuls heraus natürlich bewegen können. Springen, balancieren, klettern – all diese Dinge. Das ist die Grundvoraussetzung für eine gesunde Entwicklung.

»Meiner Meinung nach gehört ein kleines Trampolin in jedes Kinderzimmer.«

Sollte auch zu Hause Wert auf eine gute Ausstattung mit Schreibtisch und Stuhl gelegt werden?
Ja, auf jeden Fall. Und: Meiner Meinung nach gehört auch ein kleines Trampolin in jedes Kinderzimmer. Kinder lieben es, zu springen. Gerade im Winter sollten Eltern zu Hause viele Bewegungsanreize schaffen. 

Welche Sportart würden Sie Kindern empfehlen?
Ballsportarten, Radfahren, Wandern, Leichtathletik oder Turnen. Kinder brauchen entsprechend ihrer komplexen Entwicklungsprozesse vor allem Vielseitigkeit und keine einseitigen Angebote. Aber auch das Einbinden der Kinder in häusliche Aufgaben – wie beispielsweise Gartenarbeit – ist mehr als sinnvoll.  

Was ist Ihre Empfehlung an Schulen?
Kinder sitzen heutzutage viel zu viel – sowohl während des Unterrichts als auch in der Freizeit. Dabei ist es erwiesen, dass ein Grundschulkind entwicklungsbedingt keine Minute still sitzen kann. Dass Kinder mit dem Stuhl kippeln, ist ein intuitives, spontanes und entwicklungsförderndes Verhalten. Es hat nichts damit zu tun, dass sie unkonzentriert sind oder Lehrkräfte ärgern wollen. Wir müssen angesichts der langen Sitzzeiten den Unterricht bewegter gestalten. Kinder sollten sich auf den Boden hocken dürfen, es sollte Stehtische oder Hocker geben, die den natürlichen Bewegungsbedarf unterstützen. Außerdem sollte es auf Pausenhöfen vielseitige Bewegungsangebote geben. Wir haben in Untersuchungen festgestellt, dass ein Kind, das sich nach seinen individuellen Bedürfnissen bewegen kann, eine bessere Aufmerksamkeit und Konzentrationsfähigkeit hat. 

Text Maria Dünninger
Foto Simon Koy, privat

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