Denise Schindler beim Eiffelturm in ParisDenise Schindler beim Eiffelturm in Paris

20.10.2023

Tour de Paris

2024 finden in der französischen Hauptstadt die Olympischen und Paralympischen Spiele statt. Auch Denise Schindler, dreifache Weltmeisterin im Paracycling, will wieder an den Start gehen. Wir haben mit ihr vorab die Stadt erkundet und touristische Ziele für Radsportfans angesteuert. Plus: die Route zum Nachradeln. 

Die Allianz und ihre Agenturen fördern Sportveranstaltungen auf allen Ebenen – vom örtlichen Jugendturnier bis zum Spitzensport. Denn Gesundheit, Inklusion und Teamgeist liegen einem Versicherer am Herzen. Seit 2021 ist die Allianz auch weltweiter Partner der olympischen und paralympischen Bewegungen. Das Engagement ist auf acht Jahre ausgelegt und baut auf der seit 2006 bestehenden Zusammenarbeit mit der paralympischen Bewegung auf.

Zur Person

Denise Schindler wurde 1985 in Karl-Marx-Stadt geboren. Als Zweijährige rutschte sie bei Eis und Schnee aus und geriet unter eine Straßenbahn. In Folge des Unfalls wurde ihr rechter Unterschenkel amputiert. Als Leistungssportlerin ist sie seit 2010 aktiv. Schindler kann zahlreiche Erfolge für sich verbuchen, sie gewann Silber bei den Paralympics, ist Weltmeisterin, Europacup-Siegerin, Weltcup-Siegerin und Deutsche Meisterin. 

Klicken Sie sich durch die Bildergalerie: Denise Schindler erradelt Orte, die jeder Radsportfan gesehen haben muss

Autos rasen, Bremsen quietschen, Räder rollen. Lkws verbreiten stinkende Abgase. Im Kreisverkehr rund um den Arc de Triomphe, mitten in Paris, steht nur das Bauwerk in der Mitte still, seit 1836 eines der massiven, ikonischen Wahrzeichen von Paris. Denise Schindler, Radsportstar der deutschen Paracycling-Szene, mehrfache Weltmeisterin und Paralympics-Medaillengewinnerin, ist verwirrt. »Ich habe einen echt guten Orientierungssinn«, sagt sie, »aber wo war das noch, dieser coole Fotospot – und aus welcher Richtung bin ich noch mal gekommen?« Sie schiebt ihr rot-schwarzes Bike über die Straße und wischt mit dem Zeigefinger über das Display ihres Handys.

Google Maps soll die Richtung weisen inmitten des Verkehrschaos am Ende der Champs-Élysées, wo Denise Schindler ihre Entdeckungstour startet. Auf den Spuren historischer Radsportereignisse, vorbei an touristischen Must-sees, voller Vorfreude auf die Olympischen und Paralympischen Spiele, die 2024 im Herzen der französischen Hauptstadt stattfinden werden. Statt zu Fuß oder per Metro ist Denise Schindler mit dem Rad unterwegs, einem sportlichen Cityrennrad der Marke BMC, in königsblauem Trikot und schwarzer Radlerhose. Pariser Schick auf die sportliche Tour.  

Straßenrennen: Denise Schindler auf den Straßen von Paris, wo 2024 die olympischen und paralympischen Radrouten entlangführen werden
Großzügig: Am Canal Saint-Martin genießt sie als Touristin die breiten Radwege

Das Sahnehäubchen von Paris: Mit dem Rad zum Montmartre

Etappe 1 führt vom Arc de Triomphe nach Nordosten, in immer enger und enger werdenden Kurven über jahrhundertealtes Kopfsteinpflaster hinauf – bis zur Sacré Coeur, der strahlend weißen Kirche auf dem Montmartre: Was auf einem Städtetrip eine gute, wenn auch schweißtreibende Alternative zur verstopften Metro oder zu kilometerlangen Fußmärschen ist, wird für die Leistungssportlerin Schindler fast schon zur Wettkampfvorbereitung. Im Sommer 2024 wird das Straßenrennen an der Champs-Élysées starten, wo jeden Sommer die Tour de France endet. 

Auf den breiten Boulevards, wo Fans aus aller Welt die Sportler:innen anfeuern werden, gehen heute, an einem für die Jahreszeit zu kühlen Sommertag Geschäftsleute ihrer Wege, Touristen bummeln durch die Straßen. Am Arc de Triomphe drapieren sich stark geschminkte und gestylte Frauen kunstvoll vor dem Bauwerk, während ihre meist männlichen Begleiter den besten Winkel suchen, um sie möglichst vorteilhaft für die sozialen Medien abzulichten. Manchmal bedeutet das, sich mitten im Verkehrschaos auf die Straße zu legen. Für eine Erkundung der Stadt auf eigene Faust braucht es Mut, so scheint es.    

Im mehrspurigen Kreisverkehr rund um den Arc de Triomphe fehlen Fahrbahnmarkierungen, über Vorfahrtsregelungen verständigt man sich mit Handzeichen oder Blickkontakt, ständig fahren noch mehr Fahrzeuge rein, während sich mittendrin der Verkehr staut: Hier bestätigen sich alte Vorurteile vom Pariser Verkehr aus der Hölle, der das Autofahren beschwerlich macht und weder Einheimischen noch Besuchern so richtig Lust aufs Radfahren macht. Das 8. Arrondissement bildet damit inzwischen eine Ausnahme. 

Denn Bürgermeisterin Anne Hidalgo hat sich das ehrgeizige Ziel gesetzt, Paris zu einer hundertprozentigen Fahrradstadt zu machen. Mehr als 150 Millionen Euro hat die Regierung bereits in Fahrradwege und -infrastruktur investiert, etwa tausend Kilometer Radwege wurden geschaffen. Die einstige innerstädtische Rennstrecke, die Rue de Rivoli, die von der Bastille zum Louvre und der Place de la Concorde führt, ist inzwischen eine Fahrradhauptstraße – eine weitere Etappe auf Denise Schindlers Tour de Paris.  

»Ich bin begeistert«, ruft die Athletin, während sie einen breiten Radweg entlangradelt, der Fahrtwind pustet ihr die langen Haare aus dem Gesicht. Die 37-Jährige strahlt mit der Sonne um die Wette, die sich mittags doch noch blicken lässt. So gut ausgebaute Radwege kenne sie aus keiner anderen Großstadt, in München etwa, wo sie in der Nähe lebt, sei das Radfahren deutlich beschwerlicher und auch gefährlicher, erzählt sie im Vorbeifahren. 

Der Jim Morrison des Radsports

Nicht nur im Sattel ist Paris ein empfehlenswertes Ziel für radsportbegeisterte Menschen. Die Kulisse der Tour de France live zu besichtigen, kann sich allein schon lohnen. Genau wie ein Abstecher zum Père-Lachaise, dem Friedhof aus dem 19. Jahrhundert. Auf 43 Hektar Grünfläche sind hier zwischen verwitterten Grabsteinen ausgedehnte Spaziergänge möglich, mit dem Schließen des Friedhofstors versiegt gleichsam der Stadtlärm. 3,5 Millionen Menschen kommen jedes Jahr hierher. Viele von ihnen wollen die Gräber berühmter Persönlichkeiten sehen: Marcel Proust, Edith Piaf, Jim Morrison. Ein Schweizer, der mit seiner Familie gekommen ist, um die letzte Ruhestätte des Rennradfahrers Laurent Fignon (1960–2010) zu besuchen, spannt seinen Regenschirm auf und fragt die erkennbar als Radsportlerin gekleidete Denise Schindler nach dem Grab. Sie zeigt zur Wand gegenüber, wo eine Gedenktafel mit Foto den Sitz der Urne anzeigt. Der Besucher strahlt. Er erinnere sich genau daran, sagt er, als Fignon mit 22 Jahren die Tour de France gewann – und 1989 um acht Sekunden den Sieg verpasste, mit dem knappsten Abstand in der Geschichte der Tour. 

Urnengräber auf dem Père Lachaise in Paris
Letzte Ruhe: Auf dem Friedhof Père-Lachaise befinden sich zahlreiche Urnengräber, darunter auch das des Radrennfahrers Laurent Fignon (6. v. l.)
Denise Schindler beim Père Lachaise in Paris
Zurück in die Vergangenheit: Denise Schindler und die Autorin Sandra Michel stehen vor dem Eingang vom Friedhof Père-Lachaise
Video: Mit Denise Schindler durch die Olympiastadt 2024
Klicken Sie sich durch die Bildergalerie: Denise Schindler besucht das »Steel«, einen Treffpunkt für Rad- und Kaffeeliebhaber

Boxenstopp im Kultcafé

Nächste Etappe: Zwischenstopp im Café »Steel Cyclewear«, einem Laden für Radsportbekleidung, der gleichzeitig ein Café ist. Denise Schindler erreicht gegen zwölf Uhr ihr drittes Etappenziel und bestellt Cappuccino mit Hafermilch. »Kaffee und Radsport gehören für mich einfach zusammen.« Sei es wegen des Koffeinkicks unterwegs oder einfach wegen der Geselligkeit; weltweit finden beide Leidenschaften häufig zusammen. Bei »Steel Cyclewear« läuft wahlweise schwarzer Kaffee aus der Glaskanne durch japanische Filteraufsätze, wird mit der Aero- oder Frenchpress aufgegossen, kommt klein und konzentriert als café expresso daher oder mit geschäumter Kuh-, Hafer- oder Sojamilch – Inhaber René hat hier einen Ort geschaffen, wo nicht nur Radsportfans Kaffee auf hohem Niveau genießen können. Neben den hellen, freundlichen Holztischen, wo auch Bananenbrot und Muffins serviert werden, hängt stylische Funktionskleidung für Touren bei jedem Wetter. Die modebewusste Denise Schindler streift mit der Hand über die bunten Trikots. Sie mag das Konzept, ebenso der niederländische Chefredakteur einer Bike-Zeitschrift, der hier seine Reserven auffüllt.

Auch daheim rund ums oberbayerische Olching liebt Denise Schindler die Kombi aus ausgedehnten Fahrradtouren und Geselligkeit. Mit einem Bekannten war sie im vergangenen Jahr zum Wörthsee gefahren, wo sie so unglücklich stürzte, dass sie sich das Steißbein brach. Einer von mehreren Tiefschlägen, die die Profisportlerin jäh aus der Trainings- und Wettkampfroutine rissen. Anfang 2023 führte eine Entzündung im Stumpf zu einem erneuten Krankenhausaufenthalt und einer langen Pause. Der Unterschenkel war einst amputiert worden, nachdem die damals zweijährige Denise unter eine Straßenbahn geraten war. Mit dem entzündeten Stumpf war es monatelang unmöglich, eine Prothese zu tragen – an Training war nicht zu denken. »Mental waren die vergangenen zwei Jahre eine sehr harte Zeit für mich«, sagt sie heute, nur um im nächsten Moment lächelnd eine Extrarunde für Fotoaufnahmen am Canal Saint-Martin zu drehen. Die Prothese stemmt sie wie ein Hightech-Tool fest ins Pedal. Etappensieg.   

Mit dem Fahrrad auf Entdeckungstour 

Unsere Tour führt an Orten vorbei, die vor allem für Radsportfans interessant sind. Dauer: ca. 1 Stunde und 40 Minuten; Wegstrecke: ca. 24 Kilometer 

  • Vom Arc de Triomphe, dem mehrspurigen Kreisverkehr, geht es entlang der mehrspurigen Boulevards steil nach Nordosten.
  • In immer enger werdenden Kurven fährt man über jahrhundertealtes Kopfsteinpflaster hinauf zur Basilika Sacré-Coeur auf dem Montmartre.
  • Auf dem Rückweg in die pulsierende Stadt lohnt sich ein Abstecher zum Canal Saint-Martin. Ab der U-Bahn-Station Jaurès fährt man ca. 1 Kilometer gemütlich und verkehrsberuhigt am Wasser entlang, bevor man links zum Père-Lachaise abbiegt, dem Friedhof mit den Gräbern berühmter Persönlichkeiten, unter anderem des Radrennfahrers Laurent Fignon.
  • Für eine kurze Verschnaufpause bietet sich das Café »Steel Cyclewear« an, ein Treffpunkt für Rad- und Kaffeeliebhaber.
  • Paris hat in den vergangenen Jahren in den Ausbau von Radwegen investiert, so auch in unsere Tourstrecke, der Rue de Rivoli, die von der Bastille, über den Louvre bis zur Place de la Concorde führt. 
  • Die Tour endet am Arc de Triomphe.
  • Ebenfalls einen Besuch wert: Eine halbe Autostunde entfernt liegt das Vélodrome National, eine große Mehrzweckhalle mit Radrennbahn, ein Austragungsort der Olympischen und Paralympischen Spiele 2024. 
  • Etwas außerhalb des Stadtzentrums liegt das Stade de France, in dem die Eröffnungs- und die Abschlussfeier der Olympischen und Paralympischen Spiele stattfinden.
Tagsüber die Straßen von Paris erobern, abends vegetarisches Streetfood testen: Denise Schindler und Autorin Sandra Michel im Restaurant »SoumSoum«

Mehrere Ziele vor Augen führen zum Erfolg

Die Para-Athletin ist in Deutschland nicht nur ihren Fans bekannt. Schindler, die Veranstaltungskauffrau gelernt hat und mehrere Jahre für eine Eventfirma arbeitete, bevor sie sich in Vollzeit dem Sport widmete, ist Sprecherin der Athletenkommission des Weltradsportverbands UCI für Paracycling. Sie hält Vorträge zum Thema Inklusion und hat ein Buch zum Thema Resilienz verfasst: »Vom Glück, Pech zu haben. Wie man an einem Schicksalsschlag wachsen kann«. 

Ihr Tipp für einen guten Weg durchs Leben? Abends sitzt Denise Schindler bei israelischem Streetfood im Restaurant »SoumSoum« und überlegt. »Mehr als ein Ziel zu haben, ist für mich das Wichtigste«, sagt sie dann und nippt an einem Glas Rosé. »Denn im Leben läuft nicht immer alles nach Plan. Noch einmal bei den Paralympics 2024 zu starten, dass wäre natürlich fantastisch«, sagt sie. Falls es mit der Teilnahme aus gesundheitlichen Gründen aber nicht klappen sollte, sei das keine Katastrophe. »Ich habe viel erreicht im Leben – und bereite mich langsam auf die Zeit nach meiner aktiven Karriere vor.« Wer sich gezwungen sieht, vom geplanten Weg abzuweichen, braucht immer eine Alternative – am besten mehrere. So lässt sich nicht nur eine Fahrradtour in der Großstadt gut bewältigen.  

Am Ende des Tages hat Denise Schindler viele Ziele in der Stadt angesteuert, einen Fahrradtunnel an der Seine entdeckt, an den Tuilerien Espresso getrunken und ist auf der letzten Etappe zurück zum Arc de Triomphe im goldenen Licht der untergehenden Sonne am zäh dahinkriechenden Feierabendverkehr vorbeigeflitzt. 

Retrospektive: Die Sportlerin blickt am Vélodrome National auf einige Schicksalsschläge zurück

Für den nächsten Tag bleiben ein paar Stopps außerhalb der Route, die sie ausnahmsweise per Taxi ansteuert: das Stade de France, wo einst die Spiele eröffnet wurden, die Gegend rund um die künftigen olympischen und paralympischen Dörfer in Saint-Denis – und das Vélodrome National in der Gemeinde Montigny-le-Bretonneux. 2024 werden hier die olympischen Bahnradwettbewerbe stattfinden. Heute ist die Halle schwach beleuchtet, die Zuschauerränge sind leer. Lange blickt Denise Schindler auf die hölzerne, von den vielen Rennen wie glatt polierte Bahn. Eine Träne rollt ihre Wange hinab. »Das hätte ich jetzt nicht gedacht«, kommentiert sie lapidar und wischt sich mit dem Handrücken über die Augen. Hier, wird sie gleich sagen, erinnere sie sich an die Kämpfe, die sie während unzähliger Rennen mit sich ausgetragen hat, die Krankheiten und Niederlagen, die sie hinnehmen musste – an »die ganzen Herausforderungen, die man schon bewältigt hat«. In diesem Moment aber schweigt sie. Vielleicht hat sie heute eines ihrer Ziele erreicht.


Text
Sandra Michel
Mitarbeit Maria Dünninger
Fotos Stephanie Füssenich
Illustration Melanie Gandyra

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