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20.07.2023

»Wer den Kopf hebt, verliert«

Für Felix Loch kann es nie schnell genug gehen. Bereits 20 Minuten vor dem Interviewtermin sendet Deutschlands bester Rennrodler eine Whatsapp-Nachricht: »Wir können loslegen, bin schon mit dem Training fertig.« In den folgenden 60 Minuten spricht der dreifache Olympiasieger über sein Leben im Geschwindigkeitsrausch.

Die Allianz und ihre Agenturen fördern Sportveranstaltungen auf allen Ebenen – vom örtlichen Jugendturnier bis zum Spitzensport. Denn Gesundheit, Inklusion und Teamgeist liegen einem Versicherer am Herzen. Seit 2021 ist die Allianz auch weltweiter Partner der olympischen und paralympischen Bewegungen. Das Engagement ist auf acht Jahre ausgelegt und baut auf der seit 2006 bestehenden Zusammenarbeit mit der paralympischen Bewegung auf.

Zur Person

Name: Felix Loch                               

Disziplin: Rennrodeln                           

Alter: 34

Lebt in: Schönau am Königssee

Beruf: Bundespolizist                      

Social Media: instagram.com/loch_felix      

Heimatverein: RC Berchtesgaden

Allianz Verbindung: Testimonial

Größte Erfolge: 3 x Olympisches Gold, 14 WM-Titel

Perspektive für Olympia 2026: Platz auf dem Treppchen wäre schön

Mein größtes Vorbild: Michael Schumacher

Meine bislang schlimmste Sportverletzung: Habe mir mal den kleinen Zeh ganz fies an einer Mauerecke angestoßen 

Das bedeutet die olympische Idee für mich: Ein friedliches, faires, respektvolles Zusammenkommen und Miteinander mit Athletinnen und Athleten aus der ganzen Welt, die demokratische, freiheitliche Werte vertreten

Herr Loch, wie hoch ist Ihr persönlicher Tempo-Rekord im Eiskanal?

Bei einer Testfahrt in Vancouver 2010 habe ich 154 km/h erreicht. Das war schon sehr schnell. Da war selbst ich angespannt, da man keine Zeit mehr hat, um auf Fehler zu reagieren.

Wie viel Mut braucht es, um auf einem Brett mit Kufen über das Eis zu rauschen? 

Als ich das erste mal auf dem Schlitten lag, war ich fünf Jahre alt. Da macht man sich über Gefahren keine Gedanken. Man legt sich drauf und fährt los. Angst hat im Rennsport generell keinen Platz. Aber Respekt vor der Geschwindigkeit ist überlebenswichtig, denn passieren kann immer was.

Wenn nicht Mut im Vordergrund steht, braucht es dann Liebe zum Speed, um ein guter Rennrodler zu sein? 

Ja, ich mache auch viele andere Sachen gerne sehr schnell. Ob Mountainbiken, Rennradfahren oder Autofahren. Im Straßenverkehr bin ich natürlich zurückhaltender, aber ist die Autobahn mal frei, gebe ich gerne Gas. Wenn ich neben meiner Frau als Beifahrer sitze, merke ich auch, dass sie viele Fahr-Situationen anders bewertet als ich.

Ich will nicht sagen, dass ich besser Auto fahre als meine Frau, aber ich bremse definitiv später als sie.

Rennrodler Felix Loch

Wie meinen Sie das?

Ich will nicht sagen, dass ich besser fahre. Aber in Situationen, in denen sie bremst, würde ich oft noch etwas rollen lassen. Ich denke, als Rennsportler kann ich unter hoher Geschwindigkeit abschätzen, was noch geht und was nicht. Ich bin kein Raser oder Drängler, nur bremse ich definitiv später als sie. 

Vollgas auf der Autobahn, aber wie sieht es auf der Rodelbahn aus? Gibt es eine Strecke, die Ihnen mehr Respekt einflößt als anderen?

Natürlich gibt es Bahnen, die schwieriger sind als andere. Auch neue Bahnen sind immer etwas besonderes. Aber der Respekt ist immer gleich. Einfach auf gut Glück herunterfahren, das funktioniert nicht. Ich muss jede Bahn beherrschen, wenn ich im Gesamtweltcup was reißen will.

Wenn Sie am Start die behandschuhten Händen in die Eisbahn schlagen, um anzuschieben, merken Sie da schon: Ui, das wird jetzt schnell?

Man hat nach so vielen Jahren auf dem Schlitten eigentlich in jeder Phase des Rennens ein sehr genaues Gefühl dafür, wie gut oder schlecht es gerade läuft. Am Ende kann ich oft relativ genau – manchmal auf wenige Hundertstel genau – spüren, welche Zeit ich gefahren bin. Aber direkt vom Start weg ist das eher nicht möglich. 

Sie spüren Zeit im Hundertstelbereich. Was macht das mit Ihrem privaten Zeitmanagement? Haben Minuten einen anderen Wert?

Seitdem ich Vater von zwei Söhnen (5, 7; Anm. Red.) bin, nehme ich mir bewusst mehr Zeit. Ich werde dann auch nicht ungeduldig. Was aber einen hohen Wert für mich hat, ist Pünktlichkeit. Ich hasse es, auf jemanden zu warten.  

.Also doch etwas ungeduldig…

Nur, wenn man mich warten lässt (lacht.) Aber ein Tempo-Sport wie meiner erlaubt es mir gar nicht, ungeduldig zu sein. Gerade vor einem Lauf kann man die äußeren Umstände und Verzögerungen nicht beeinflussen. Dann muss man konzentriert bleiben und darf nichts übers Knie brechen.

Wenn Sie dann endlich losrasen dürfen, aber mal einen Start verpatzen: Wie schwer ist es, keine Folgefehler zu machen, weil Sie sich vielleicht ärgern oder unbedingt aufholen wollen?

Das ist totale Kopfsache. Wir haben ja kein Gaspedal. Wir können unseren Lauf nicht beschleunigen, nur versuchen, ihn durch möglichst wenig Fehler zu optimieren. Gerade für Nachwuchs-FahrerInnen ist es schwierig, in solchen Momenten die Ruhe zu bewahren, sich weiter maximal zu konzentrieren und die Aerodynamik zu verbessern.  

Entscheidend für Sieg oder Niederlage ist die Position des Kopfes.

Rennrodler Felix Loch

Wie kann man denn auf so einem Brett mit Kufen während der Fahrt die Aerodynamik noch beeinflussen?

Entscheidend dafür ist wieder der Kopf. Aber nicht das Mentale, sondern seine Position. Also wie hoch man den Kopf nimmt oder wie tief man ihn lassen kann, ohne die Orientierung zu verlieren. Denn der Kopf ist das Letzte, was im Wind steht. Er kann Hundertstel kosten. Aber auch Zeit einbringen, indem man ihn so flach wie möglich hält. Dazu ist es wichtig, sich gut in der Bahn orientieren zu können. Die Steilkurven helfen beispielsweise, da wir sie schon von weitem auch im Liegen sehen.

Wie bekommt man eine solches Tempo in den Griff, wenn man so wenig wie möglich auf die Strecke schauen sollte? Gehen Sie die Strecke vorher im Kopf durch wie Slalomfahrer?

Ja, das machen wir auf jeden Fall. Es ist sehr wichtig, das vor dem Training, dem Wettkampf oder auch mal am Abend vorher im Bett zu machen. Denn am Ende haben wir jahreszeitlich bedingt gar nicht so viele Trainingsläufe, wie es eigentlich braucht, um so eine Strecke zu beherrschen. 

Wie wichtig ist der richtige Schlitten, um schnell zu sein?

Das Gerät hat einen großen Anteil am Erfolg oder Nichterfolg. Das ganze Sportler-Schlitten-Setup muss genau abgestimmt sein und ist immer sehr individuell. Der eine mag Schlitten, die leichter zu lenken sind. Der andere mag lieber einen Schlitten, der ein bisschen fester in der Spur liegt. Da gibt es viele Optionen. Aber auch der Wohlfühlfaktor ist sehr wichtig. 

Der Schlitten sieht nicht sehr bequem aus…

Der muss nicht so bequem sein wie eine Couch. Wenn man allerdings alles der Aerodynamik unterordnet und dann unbequem liegt, sich nicht wohl oder sicher fühlt, kostet das wertvolle Zeit an den entscheidenden Stellen im Kanal.

Und wie gelingt Ihnen die optimale Schlitten-Mensch-Symbiose? 

Wir haben einen Partner aus der deutschen Automobilbranche, mit dem wir gemeinsam am Material arbeiten. Ich habe mir aber über die Jahre auch selber viel Erfahrung im technischen Bereich draufgeschafft.

War das auch der Schlüssel für die Saison 2019/ 2020, als die mit 1095 Punkten die beste Saison Ihrer Karriere hinlegen konnten?

Ja, das war eine gewaltige Saison. Wir haben viel am Material gearbeitet und das hat zum Glück vom ersten Rennen an extrem gut funktioniert. Das war zum Schluss raus schon ein bisschen unheimlich, wie schnell wir waren. Ich will nicht sagen, dass ich Angst hatte. Aber der Speed fühlte sich schon ein bisschen komisch an. 

Was war denn in Ihrer Laufbahn die eine Veränderung am Material, die den größten Tempozuwachs gebracht hat? 

Wir hatten vor etwa zehn Jahren ein innovatives Dämpfungssystem zwischen Schiene und Kufe entwickelt. Das wurde uns aber nach zwei oder drei Jahren im Einsatz vom Verband verboten. Denn damit waren wir im Deutschen Team schon deutlich schneller unterwegs. Ansonsten hat sich das gesamte Material weiterentwickelt. Und über die Jahre entwickelst du ein Top-Gefühl dafür, wie du deinen Schlitten auf welche Bahn bei welchem Wetter optimal einstellst.

Und welche Rolle spielt der Rennanzug? 

Die sind eher zweitrangig. Es gibt einen Hersteller, der den Markt dominiert und fast alle Profis mit demselben Modell ausstattet. Aber es ist auch irgendwie entlastend, dass sich in diesem Bereich vermutlich so schnell niemand große Vorteile erarbeiten kann. 

Stichwort Wetter. Auf welchem Eis rodeln Sie lieber: leicht angetaut bei 10 Grad oder knallhart bei Minus 20 Grad? 

Am angenehmsten sind Temperaturen knapp unter Null Grad mit Sonne und trockener Luft. Schwieriger wird es bei wärmeren Temperaturen um die zehn Grad. Dann wächst der Reif immer mehr, wie im Kühlschrank, bei dem man die Tür offen lässt. Dadurch wird die Bahn von Sportler zu Sportler anders und kann in zwei Minuten zwischen fünf Hundertstel und einem Zehntel langsamer werden. Und das sind bei uns Welten. 

Sie sind im Sport auf Schnelligkeit gepolt, neigen Sie da privat zu Hektik?

Mit den Kindern wird man auf jeden Fall geduldiger. Das muss man einfach lernen. Vor allem wenn sie sich morgens anziehen sollen, bevor wir sie in die Kita bringen. Vor allem der Jüngere ist ein kleiner Trödler und Träumer. Das liebe ich auch sehr an ihm. Aber das war eine Umstellung für mich. 

Nach meinem Fahrfehler bei Olympia 2018 dachte ich, ich wäre zu blöd zum Rodeln.

Rennrodler Felix Loch

Manchmal geht doch etwas schief. Welcher Sturz hat Sie am schlimmsten getroffen? Welche Situation war die gefährlichste in Ihrer Laufbahn?

Toi toi toi, bin ich bis jetzt während meiner gesamten Karriere von schlimmen Stürzen verschont geblieben. Natürlich fallen wir alle während einer langen Saison irgendwann mal auf dem Hosenboden. Aber außer blauen Flecken und viel Frust habe ich davon noch keinen Schaden genommen. Mental allerdings, und das muss ich ganz ehrlich sagen, war der Fahrfehler bei Olympia 2018 schlimm für mich. Da lag ich nach dem dritten Durchgang auf Platz eins und die dritte Goldmedaille war zum Greifen nah. Und dann passiert mir einfach dieser eine saublöde Fehler. Danach habe ich wirklich gedacht, ich bin zu blöd zum Rodeln.  

Wie lange hatten Sie daran zu knabbern?

Ich war noch nie der Mensch, der sich von Rückschlägen extrem hat runterziehen lassen. Natürlich habe ich den ein oder anderen Tag gebraucht zum Verdauen. Definitiv. Ich war dann am Ende froh, als ich Zuhause bei meiner damals noch schwangeren Frau und meinem ersten Sohn war. Durch die Ablenkung in der Familie konnte ich schnell runterkommen. Und man sieht einfach, es gibt auch Dinge auf der Welt, die vielleicht sogar wichtiger sind als der Sport. Aber mir war auch schnell klar, so ist definitiv nicht Schluss.

Welcher Erfolg bedeutet Ihnen am meisten?

Der allererste WM-Titel in Oberhof war natürlich der Wahnsinn. Aber das erste Olympia-Gold in Vancouver sicher nochmal einen Tick größer. Das sind schon so Momente, die ich nie vergessen werde.

Die Spiele in Mailand und Cortina D’Ampezzo sind 2026 – Dann sind Sie 36. Welche Rolle möchten Sie bei Olympia spielen?

Ein gutes Olympia-Ergebnis ist auf jeden Fall mein Ziel, auf das ich alles ausrichte.

OK, wir haben jetzt lange über Geschwindigkeit gesprochen. Und jetzt nur noch eine Minute Zeit. Schaffst du zehn Antworten 60 Sekunden? 

Probieren wir es. 

Tempolimit oder Bleifuß? 

(Lacht.) Bleifuß.

Pünktlich zum Termin oder lieber fünf Minuten zu früh? Fünf Minuten zu früh.

Burger oder 5-Gänge Menü? Burger.

Bier oder Wein? Wein.

Porsche oder Minivan? Porsche.

Strand oder Berge? Berge.

Windhund oder Bernhardiner? Bernhardiner.

Fahrradhelm oder schöne Frisur? Fahrradhelm.

Freier Sonntag gemütlich auf die Couch oder Ausflug in den Kletterwald? Ausflug in den Kletterwald, ganz klar.

Lieber noch dreimal den Weltcup gewinnen oder Gold in Italien 2026? Lieber Gold in Italien.


Text
Sebastian Schellschmidt
Fotos Arvid Müller

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