Instand setzen statt austauschen: Um einen Beitrag zur Nachhaltigkeit zu leisten, setzt die Allianz auf »Green Repair«. Ernst Fritz und sein Team im schwäbischen Backnang zeigen, wie nachhaltige Autoreparatur funktioniert. Ein Werkstattbesuch
Zur Person
Ernst Fritz ist gemeinsam mit seiner Schwester Romy Geschäftsführer der Karosseriebau Fritz GmbH im baden-württembergischen Backnang. Sie haben sich auf nachhaltige Autoreparatur spezialisiert.
Das Geräusch von Schleifpapier auf Metall ist zu hören, aus den Lautsprechern kommt Radiomusik. Ein getragenes Stück, das den traurigen Anblick auf den Stellplätzen untermalt: Ein weißer Golf hat eine Delle in der Tür, ein silberner Lieferwagen lässt die Heckstoßstange hängen. Ein rosa Fiat weist Kratzer auf, als hätte ein Löwe ihn für einen 500 Kilo schweren Schweinebraten gehalten. Zwischen den lädierten Autos schieben Kfz-Experten rote Werkzeugwagen hin und her.
In der Lackierkabine, die entfernt an einen OP-Saal erinnert, steht Ernst Fritz vor einem abgedeckten Fahrzeug. Der 36-Jährige ist gemeinsam mit seiner Schwester Romy Geschäftsführer der Karosseriebau Fritz GmbH im baden-württembergischen Backnang. Ihre Eltern hatten die Werkstatt 1984 gegründet. Dass hier alles etwas anders läuft, wird deutlich, als Fritz über ein gemustertes Stück Stoff streicht, das ein Fahrzeug einhüllt: »Wir vermeiden Plastikfolien, wo es geht«, erklärt Fritz, »das Tuch hat wahrscheinlich noch meine Oma genäht.« Wir schmeißen nichts weg – so lautet ein schwäbisches Prinzip, das zugleich uralt und zukunftsweisend ist. Zwar werden Nachhaltigkeit und Mobilität längst zusammengedacht, doch dabei geht es meistens um den CO2-Ausstoß auf der Straße. Ein anderer Aspekt wird weniger beachtet: die Nachhaltigkeit in Werkstätten. Hier gibt es ein riesiges Potenzial für sogenannte »Green Repair«-Methoden, um Energie zu sparen, Abfall zu vermeiden, Materialien und Ressourcen zu schonen – sowie die Kosten zu senken.
Während die Industrie an umweltverträglicheren Autos arbeitet, kennt sich die Allianz besonders gut mit Schäden und Reparaturtechniken aus, seit sie 1918 begann, Automobile zu versichern. Im Allianz Zentrum für Technik (AZT) in Ismaning leistet das Unternehmen seit 1971 Forschungsarbeit – unter anderem mit dem Ziel, zum Wohl aller Versicherten die Instandsetzungskosten zu senken. »Wir können dazu beitragen, dass Mobilität wirtschaftlicher und nachhaltiger wird«, erklärt Thomas Behl, Leiter der Reparaturtechnik im AZT. »Mit Crashtests untersuchen wir, wie gut sich Pkw reparieren lassen. Wir wollen unnötige Kosten vermeiden.« Behl und sein Team vergleichen zum Beispiel, wie es sich auswirkt, wenn Teile fachmännisch repariert und nicht ausgebaut, weggeworfen und durch neue ersetzt werden. So spart etwa die Reparatur einer Windschutzscheibe des Volkswagen ID.3 im Vergleich zum Ersatz 99 Prozent der CO2-Emissionen und kostet dabei deutlich weniger. Bei der Seitenwand eines Ford Fiesta ist das Reparieren ebenfalls merklich günstiger und der CO2-Verbrauch um 60 Prozent geringer. »Würde man in Deutschland die Reparaturquote nur um zwei Prozentpunkte erhöhen, ließen sich pro Jahr rund 5000 Tonnen CO2 einsparen«, sagt Behl.
Der Karosserie- und Lackierfachbetrieb in Backnang hat eine der höchsten Instandsetzungsquoten Deutschlands. Ernst Fritz sagt, das liege vor allem an der Expertise seines Teams und an Aufklärung: »Wir erklären unseren Kundinnen und Kunden, dass eine Reparatur qualitativ dem Einbau von Neuteilen in nichts nachsteht und die Gewährleistung auf die ausgeführte Arbeit die gleiche bleibt. Und wir zeigen zusätzlich zum Umweltaspekt den preislichen Unterschied auf: Neuteile sind teuer. Rund 80 Prozent entscheiden sich bei uns für die Instandsetzung«, sagt Ernst Fritz.
So war es auch bei Herrn Meier, der im E-Auto eine Mauer vor der Garage streifte. In der Werkstatt begutachtet Fritz nun die Folgen: Die Stoßstange des einst makellos weißen Tesla wurde deformiert und eingerissen, die Felge hat eine tiefe Schramme. »Wir haben dazu geraten, die Stoßstange zu reparieren, statt sie auszutauschen. Das ist etwa 15 Prozent günstiger«, sagt Fritz. Die Felge muss als sicherheitsrelevantes Teil aber getauscht werden. Auch Komponenten wie die Radarsensorik für Fahrassistenten sind nicht zur Reparatur freigegeben.
Im Falle eines Austauschs, sagt Experte Behl, wären Gebrauchtteile die nachhaltigste Lösung. Bei einer repräsentativen Studie der Allianz im Sommer 2022 gaben 89 Prozent der Befragten an, dass sie den Einbau von intakten, zertifizierten Gebrauchtteilen akzeptieren würden. Aber, sagt Behl: »In Frankreich und in Großbritannien ist das etabliert, in Deutschland haben wir Nachholbedarf.«
Im Fall von Herrn Meiers Auto wird die Stoßstange zuerst demontiert und »entkleidet«: Kfz-Meister Habip Mahmutoglu entfernt Parksensoren, Kennzeichen und Ziergitter. Anschließend säubert er das Teil, damit weder Schmutz noch Staub das Lackieren erschweren. Während die meisten Werkstätten Lösungsmittel für die Reinigung verwenden, kommt hier Wasserdampf zum Einsatz, der 100 Grad heiß und mit 10 Bar Druck aus speziellen Hochdruckreinigern schießt. »Damit lassen sich Verschmutzungen sehr gut beseitigen. Es ist gesünder für unsere Mitarbeiter und nachhaltiger für die Umwelt. Früher wurden mehrere Hundert Liter Lösungsmittel angeliefert und verarbeitet. Seit wir Wasser verwenden, reduzieren sich die Transportemissionen«, sagt Fritz.
Die gereinigte Stoßstange wird jetzt punktuell erhitzt, um Form und Kontur wiederherzustellen. Anschließend schweißt Habip Mahmutoglu alle Risse und Brüche zu. Das Schweißen funktioniert mittels Stickstoff, der dafür notwendige Generator ist unter dem Werkstattdach verbaut. Ein eigenes Blockheizkraftwerk produziert Strom und Wärme, zum Beispiel, um die Trockenkabinen zu versorgen und im Winter die Halle zu heizen.
Nach dem Schweißen härtet das Material unter einer UV-Lampe aus. Damit ist die Stoßstange wieder funktionsfähig – wie neu. Im nächsten Schritt wird der alte Lack abgeschliffen. Dann trägt Lackiermeister Claudio Mauceri den Grundlack auf. Auch dabei kommt der Generator unter dem Dach zum Einsatz: Anstatt den Lack mit Luft aufzusprühen, wird er mit Stickstoff appliziert. So wird weniger Lack für dasselbe Ergebnis benötigt. Im Farbmischraum steht eine Maschine, die fast 100 000 Farbkombinationen aus umweltschonenderem Wasserbasislack anmischen kann. Auf den Grundlack kommt dann der Klarlack.
Wenn ein Teil nicht ausgebaut, sondern am Auto lackiert wird, kommen die einst von Oma Fritz zusammengenähten Stoffe zum Einsatz: Sie schützen Karosserieteile vor Farbnebel. »Die Tücher werden mehrere Monate benutzt und dann gewaschen. Das spart Plastikmüll«, sagt Fritz.
Nach dem Lackieren kommt die Tesla-Stoßstange für eine gute halbe Stunde bei 50 Grad in die Trockenkabine. Nun montiert Habip das reparierte Teil ans Auto, kalibriert die Fahrassistenten und dokumentiert, dass alles ordnungsgemäß funktioniert. Dann kann Herr Meier sein Auto abholen – zu einem günstigeren Preis, als es nach Einbau eines Neuteils der Fall gewesen wäre. Für die Werkstattbetreiber Ernst und Romy Fritz ist das nicht das Entscheidende. Sie interessiert, dass sich die CO2-Bilanz ihres Betriebs verbessert hat und rund 70 Prozent weniger Kunststoffmüll anfällt. »Nachhaltigkeit ist für mich keine Schwaben-Manier, um Geld zu sparen. Wir müssen mit den Ressourcen auf der Erde verantwortungsbewusst umgehen«, sagt Ernst Fritz.
Text Theresa Atzl
Fotos Niklas Niessner