30.11.2022

»Ich saß bei meiner Trainerin und weinte«

Anna-Lena Forster ist Para-Sportlerin des Jahres 2022, gewann zahlreiche Medaillen. Dabei dachte die 27-Jährige sogar ans Aufhören. Im Interview spricht die Monoskibobfahrerin über Erwartungsdruck und Selbstzweifel – und wie es gelang, das Tief zu überwinden

Zur Person 

Anna-Lena Forster,  Jahrgang 1995, wurde mit einer Femurhypoplasie am linken Bein und einer Amelie am rechten Bein geboren. Mit sechs Jahren besuchte sie den ersten Skikurs, mit elf war sie bereits im Trainingslager des deutschen Nachwuchsteams Para-Ski-Team Alpin. Im vergangenen Winter gewann die Monoskibobfahrerin bei Winter-Paralympics und Weltmeisterschaften insgesamt acht Medaillen.

Frau Forster, erst im Oktober haben Sie die »Goldene Henne« von MDR und SUPERillu in der Kategorie »Ehrenpreis Sport« entgegengenommen. Jetzt wurden Sie zur Para-Sportlerin des Jahres gewählt. Welcher Preis bedeutet Ihnen mehr?

Die »Goldene Henne« ist in der öffentlichen Wahrnehmung sicher der größere Preis und er galt dem gesamten paralympischen Team. Die Auszeichnung als Para-Sportlerin des Jahres war eine Ehrung meiner eigenen Erfolge und bedeutet mir etwas mehr. Er ist das Sahnehäubchen auf einer verrückten Saison.

Wie erklären Sie sich den Medaillenregen der vergangenen Monate?

Da spielen viele Faktoren eine Rolle. Das Teilnehmerfeld hat sich mit einigen Rücktritten von leistungsstarken Konkurrentinnen aus Deutschland, Österreich und den Niederlanden stark verändert. Mein Material ist besser. Mit der neuen Sitzschale fühle ich mich auf der Piste extrem wohl. Als Berufssportlerin im Zoll-Ski-Team konnte ich mich zuletzt auch besser auf den Sport fokussieren, mich technisch noch mal weiterentwickeln. Eine Mentaltrainerin half mir dann, meine Leistungen zu stabilisieren.

Warum haben Sie die Mentaltrainerin engagiert?

Kurz gesagt: Erwartungsdruck und Pandemie. In dieser Phase habe ich mir irgendwann die Sinnfrage gestellt. Während um einen herum Menschen erkranken, es sogar Tote gibt, habe ich mich gefragt, was mache ich hier eigentlich? Wie relevant ist mein Sport? Ist er den Aufwand wirklich wert? Vor Peking ging es mir deshalb nicht gut. Ich erinnere mich, dass ich einmal bei meiner Trainerin saß und geweint habe, weil alles etwas zu viel wurde. Die Masse an Medienanfragen, die wir als Para-Sportler:innen nicht gewohnt sind, die Erwartungshaltung von außen – und mir selbst – haben mich verunsichert. Dazu kam die große Ungewissheit. Wegen der Pandemie hatten wir kein Test-Event in Peking. Das heißt, wir wussten überhaupt nicht, was da auf uns zukommt.

Wie haben Sie das mit Ihrer Trainerin in den Griff bekommen?

Wir erarbeiteten einen Plan, wie ich meine Zeit für Training, Medien und mich selbst optimal nutze. Auch das Visualisieren, also mir im Vorfeld konkret vorzustellen, was mich in Peking erwarten wird, gab mir Sicherheit. Wir haben zusammen auf meine Emotionen geschaut und sie umgeleitet. So können etwa Druck oder Nervosität über einen Perspektivwechsel auch etwas Positives sein. Es bleibt zwar ein negatives Gefühl, aber es bringt gute Effekte mit sich. Sie machen wacher und fokussierter. Wenn man das begreift, wirkt Nervosität weniger schlimm.

Wenn du ständig unterwegs bist und Druck spürst, stellt man seinen Weg auch mal in Frage.

Para-Sportlerin Anna-Lena Forster
Credit Foto Constantin Film/Mathias Bothor

Sie sprechen von enormem Druck. Haben Sie daran gedacht, Ihre Karriere zu beenden?

Ja, die Gedanken gab es. Nicht oft und nicht lange. Aber in manchen Situationen, wenn du im strömenden Regen trainierst, ständig auf Reisen bist und immer wieder Druck spürst, kamen sie schon mal hoch. Mit dem Erfolg in Peking ist dann aber auch viel von mir abgefallen. Jetzt genieße ich den Sport wieder. Ich habe meine Lockerheit zurück und fahre mit einer ganz anderen Freude zu den Wettkämpfen.

Sie gehen bereits in Ihre zehnte Profisaison. Wie hat sich die öffentliche Wahrnehmung von Para-Sport in dieser Zeit verändert?

Früher wurden wir nicht ernst genommen. Wenn man vor zehn Jahren jemandem sagte, dass man Leistungssportlerin im Behindertensport sei, kamen auch mal Reaktionen wie ,Ach schön, dass die Menschen mit Behinderung auch etwas Sport machen.’ Heute nehmen uns die Leute als Profis wahr, die auch sechsmal pro Woche zwei bis vier Stunden am Tag trainieren. Die Leute haben richtig Bock auf Para-Sport. Das spürt man immer mehr. 

Ihr Bruder, der ohne Behinderung zur Welt kam, hat Sie früh mit zum Sport genommen. Wie hat Sie das geprägt?

Ich war einfach immer mit dabei und hatte dabei nie das Gefühl, anders zu sein. Das hat mir natürlich sehr bei der Integration geholfen. Man muss als Mensch mit Behinderung vielleicht noch ein Stück aktiver sein und das Leben in die Hand nehmen, um akzeptiert zu werden. 

Als Kind haben mich meine Eltern immer darin bestärkt, klare Kante zu zeigen.

Anna-Lena Forster

Woher haben Sie dieses enorme Selbstbewusstsein?

Da bin ich meinen Eltern sehr dankbar. Sie sind von Anfang an sehr offen mit dem Thema umgegangen. Wann immer es auf der Straße oder im Supermarkt Getuschel oder komische Blicke in den Kinderwagen gab, haben sie das Gespräch mit den Leuten gesucht, sie gefragt, was sie gerne wissen möchten. Diese Haltung hat sicher auf mich abgefärbt. Als ich älter wurde und es hier und da auch mal zu unschönen Situationen und blöden Kommentaren von Gleichaltrigen kam, haben meine Eltern mich immer bestärkt, in den Dialog zu gehen oder auch mal klare Kante zu zeigen, wenn es sein musste. 

Unverschämte Teenager waren sicher nicht das einzige Problem in Ihrem Leben. Was nervt heute noch im Alltag als Mensch mit Behinderung?

In Deutschland geht schon vieles in die richtige Richtung. An meiner Fakultät in Freiburg gibt es zum Beispiel nur zwei Seminarräume, die ich nicht mit dem Rollstuhl erreiche. Alles andere ist für mich komplett frei. Doch das Thema Barrierefreiheit ist ansonsten im öffentlichen Raum oft ein Ärgernis für mich. Besonders bei öffentlichen Gebäuden und im Personennahverkehr. Es ist ein sehr blödes Gefühl, wenn Zugänge schwer oder gar nicht zu überwinden sind. 

Sport kann helfen, Inklusion in der Gesellschaft noch präsenter zu machen. Das ist auch meine Aufgabe als Athletin. 

Anna-Lena Forster

Wie kann man das verbessern?

Es geht politisch noch immer zu oft um die Frage, ob etwas verändert werden muss. Dabei muss die Frage lauten, wie man etwas inklusiver gestalten kann. Die Gesellschaft muss hier vielleicht auch noch einen weiteren Schritt bezüglich der Akzeptanz machen und uns als gleichwertigen Bestandteil wahrnehmen und nicht als hilfsbedürftige Randgruppe. Das muss in die Köpfe der Menschen, und dabei kann auch der Sport helfen. Erfolge im Profisport schaffen Aufmerksamkeit und Ansehen. Die Botschaft zu senden, ist auch meine Aufgabe als Profisportlerin. 

Botschaften senden Sie auch als Mentorin im Allianz Buddy Programm. Was genau machen Sie da?

Athlet:innen mit und ohne Behinderung geben Erfahrungen aus verschiedenen Themengebieten wie Inklusion, Mental Training oder Persönlichkeitsentwicklung an Allianz Mitarbeiter:innen weiter. Mit meinem Bachelor in Psychologie und eigenen Erfahrungen mit einer Mental-Trainerin sehe ich vor allem in diesem Bereich meine Stärken und überlege ständig, wie man es auf die Arbeitswelt übertragen kann. 

Ist das auch ein Plan für die Zeit nach der Sportkarriere?

Ja, ich träume davon, später im Coaching zu arbeiten. Ich möchte anderen Menschen mit meiner Erfahrungen präventiv helfen. Sie aus ihrem Alltag holen und auch über Bausteine wie Ernährungsberatung zu einem besseren Leben anleiten. Das stelle ich mir als sehr erfüllenden Job vor.

Erfüllung ist ein gutes Stichwort: Welchen Wunsch würden Sie sich gern zu Weihnachten erfüllen?

Dass der Krieg so schnell wie möglich beendet wird. Und dass ich die Zeit mit meiner Familie in diesem Jahr etwas intensiver genießen kann, als das zuletzt der Fall war. 

Interview    Sebastian Schellschmidt 
Fotos  imago images / ZUMA WIre

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