Credit Foto Constantin Film/Mathias BothorCredit Foto Constantin Film/Mathias Bothor

31.08.2022

»Künstlerinnen über 50 bekommen keine Rollen mehr«

Schauspielerin Andrea Sawatzki kritisiert im 1890-digital-Interview, dass viele Kolleginnen wegen ihres Alters diskriminiert werden. Und sie spricht über die Demenz-Erkrankung ihres Vaters, an der die Familie fast zerbrach. Ein Gespräch über Komödiantisches – und den Ernst des Lebens

Zur Person

Andrea Sawatzki, Jahrgang 1963, ist eine der bekanntesten deutschen Schauspielerinnen, erfolgreiche Buchautorin und Hörbuchsprecherin. Ihr neuer Film »Freibad« (Regie: Doris Dörrie) kommt am 1. September 2022 in die Kinos. Am selben Tag läuft »Familie Bundschuh – Unter Verschluss« im ZDF, die Verfilmung eines ihrer Romane. Ihre Kindheitserinnerungen »Brunnenstraße« sind im Piper Verlag erschienen.

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Diagnose Demenz: Im Pflegefall individuell abgesichert

Jeder Zweite wird in seinem Leben einmal pflegebedürftig – 70 Prozent der pflegebedürftigen Menschen in Deutschland werden zu Hause betreut. Doch die Pflege eines Angehörigen ist nicht nur zeit-, sondern auch kostenintensiv: Etwa 15.000 Euro jährlich veranschlagt das Bundesministerium für Bildung und Forschung für leichte Demenzverläufe. Bei vorliegender Pflegebedürftigkeit bietet die Allianz Pflegeversicherung Sachleistungen oder Pflegegeld. 

Frau Sawatzki, wenn man das Plakat Ihres neuen Films sieht, denkt man an Sonnencreme, Hitzefrei und Pommes. Ist »Freibad« die große Sommerkomödie, die uns von den Weltkrisen ablenkt?

Es ist zwar ein sehr unterhaltsamer Film, aber inhaltlich geht er zur Sache. Die Figurenkonstellation, die sich in diesem Frauenfreibad bildet, funktioniert wie ein Experiment über die Frage, was zwischenmenschliche Beziehungen heute eigentlich ausmacht.

Und das wäre?

Die Leute sprechen viel über Freiheit, engen sich gleichzeitig aber immer weiter ein. Sie reden anderen in ihr Leben hinein, stellen Vorschriften auf: Was darf ich sagen und tun? Wie muss ich aussehen? Was darf ich anziehen? Der Film erzählt unter anderem vom Risiko, das darin liegt.

Sie spielen die Figur Eva – und die treibt ein Problem besonders um: das Altern.

Besonders bei Frauen gilt das Älterwerden ja nach wie vor als gesellschaftliches Tabuthema. Hier spielen Schönheitsideale, die tief in den Köpfen stecken, eine große Rolle. Aber auch Arbeitslosigkeit und drohende Armut. Mit all diesen Themen hat meine Figur zu kämpfen, aber eben auf komödiantische Art.

Inwiefern sind Sie selbst vom Thema betroffen?

Ich habe das Glück, noch immer genug arbeiten zu können. Aber von Kolleginnen höre ich immer wieder diese Geschichten: Großartige Künstlerinnen bekommen, wenn sie erst mal jenseits der 50 sind, schlicht keine Rollen mehr. Es gibt im Fernsehen und Kino genug Erzählstoffe über ältere Frauen. Aber die werden meist mit Jüngeren besetzt.

Sie haben in Ihrer Karriere von Theater über Fernsehen bis zu Moderation und Schriftstellerei viele Jobs gemacht. Hatten Sie je Angst vorm Scheitern?

Überhaupt nicht. Ich bin ein Mensch, der gern Dinge ausprobiert. Und wenn ich sie angefangen habe, bringe ich sie auch zu Ende. Ob ich mit etwas auf die Nase falle oder ob es funktioniert, merke ich ja erst, wenn ich es durchziehe. Das hat vielleicht auch mit meiner Kindheit zu tun.

In welcher Hinsicht?

Weil ich früh gelernt habe, auch dann durchzuhalten und weiterzumachen, wenn ich zunächst Ablehnung erfahre.

Ihre Eltern wurden erst offiziell ein Paar, als Sie acht waren. Sieben Jahre später starb Ihr Vater an den Folgen einer Alzheimer-Erkrankung. In Ihrem Buch »Brunnenstraße« erzählen Sie aus dieser Zeit.

Das Schreiben hat für mich Ordnung in viele schmerzhafte Erinnerungen gebracht. Es war ein längerer Prozess. Einige Situationen von damals kamen bei der Arbeit mit voller Wucht zurück.

Obwohl Ihr Vater sich Ihnen gegenüber oft abweisend und grausam verhielt, stellen Sie im Buch auch seine liebenswerten Seiten dar. Wie schwer fiel es Ihnen, so fair zu sein?

Es war mir wichtig, alle Personen so gleichwertig wie möglich zu beschreiben. Im Kern erzähle ich die Geschichte einer Familie, die aufgrund einer Krankheit auseinanderbricht – und deren Mitglieder man daher auch alle kollektiv in den Arm nehmen will. Hätte ich meinen Vater früher kennengelernt, wären wir vielleicht die glücklichste Familie der Welt geworden.

In ihrem aktuellen Roman »Brunnenstraße« verarbeitet Andrea Sawatzki ihre eigene Familiengeschichte

Warum haben Sie das erst jetzt aufgeschrieben?

Ich habe die Kindheitserlebnisse lange ignoriert und war mir sicher, wie viele andere Menschen auch: Das wird alles von allein verschwinden, die Bilder, die Schuldgefühle, das Chaos. Ich dachte lange, das Leben würde auch ohne Aufarbeitung und Klärung funktionieren. Heute weiß ich, dass das nicht stimmt.

Von Ihnen wurde als Kind viel Selbstständigkeit gefordert. Wie blicken Sie heute auf die sogenannten Helikoptereltern, die dem Nachwuchs so viele Probleme wie möglich vom Leib halten?

Kinder wurden früher generell stärker gefordert, mussten mehr allein machen und bekamen tendenziell weniger Unterstützung von den Erwachsenen. Dass sich die Verhältnisse nun in die andere Richtung gekehrt haben, hat vielleicht auch damit zu tun: Viele Eltern haben als Kinder die Fürsorge vermisst – und übertreiben es daher jetzt ein wenig. Sie wollen es besser machen. Das kann ich verstehen.

Wollen Sie »Brunnenstraße« irgendwann verfilmen?

Das wäre schön. »Familien und Alzheimer« ist ein wichtiger Themenkomplex, der Aufmerksamkeit braucht. Aber warten wir’s ab.

Text   Joachim Hentschel
Fotos Jeanne Degraa, Constantin Film / Matthias Bothor

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