Im Sommer 2021 begleitete ein Reporterteam von 1890 digital den Allianz Vertreter Udo Bergmann beim Kriseneinsatz im Sauerland. Die Flüsse Lenne und Hönne hatten sich in reißende Ströme verwandelt und große Schäden angerichtet. Eine Reportage zwischen Apokalypse und Anpacken für Sie zum Nachlesen – ein Jahr nach dem Hochwasser
Es ist Mittwoch, der 14. Juli 2021. Um 1 Uhr 49 wird Udo Bergmann, Generalvertreter der Allianz in Neuenrade, durch Sirenengeheul geweckt. Seit Dienstag regnete es im Sauerland ununterbrochen, so stark wie seit vielen Jahren nicht mehr. Das European Flood System (EFAS) hatte am Tag zuvor vor extremen Überflutungen gewarnt, der Deutsche Wetterdienst schickte eine »Amtliche Gefahrenmeldung« voraus. Auf Neuenrade allein fallen in der verhängnisvollen Nacht vom 13. auf den 14. Juli bis zu 160 Liter Regen pro Quadratmeter! Dann rauscht das Wasser heran: Die Hönne ist nach 24 Stunden Starkregen über die Ufer getreten. Aus einem knapp zwei Meter breiten kristallklaren Bächlein ist ein reißender brauner Strom geworden, der die Hauptstraße des 12.000-Einwohner-Orts herunterschießt, der Schlamm, Geröll und Gestrüpp mit sich führt und in die schmalen Nebenstraßen drückt. Es ist ein Fluss, der alles verwüstet, was sich ihm in den Weg stellt. Im Nu sind Keller überflutet, Straßenzüge weggespült.
Das Wasser stieg mit atemberaubender Geschwindigkeit
Am selben Mittwoch im Gewerbegebiet, um 17:41 Uhr, schreibt Carsten Hellwig, Geschäftsführer der Firma ALCAR Leichtmetallräder Produktion GmbH, eine E-Mail an Udo Bergmann, der den Fuhrpark, die Stapler und verschiedene Elektronikbauteile des Unternehmens versichert hatte: »Wir mussten heute um ca. 15 Uhr die gesamte Produktion in Neuenrade evakuieren. Die Hönne ist über die Ufer getreten und die Lackabteilung und der Versand sind voll mit Wasser gelaufen. (…) Wir haben mit der Firma Westnetz den Strom komplett abgeschaltet, um somit noch die Produktionsfläche betreten zu können und sämtliche Türen und Fenster manuell zu schließen (…). Viele Straßen im Märkischen Kreis sind nicht mehr befahrbar …«
Die Löschwasserbarrieren, die Mitarbeiter an Rolltoren und Türen angebracht hatten, hielten die Wassermassen nicht ab. »Das Wasser schob sich mit atemberaubender Geschwindigkeit durch die Ritzen«, erzählt Viktor Kluev, Leiter der Lackierabteilung. Er ist seit 23 Jahren bei der Firma und versuchte mit einer Handvoll Männern, das Gebäude zu sichern. »Es hat keine halbe Stunde gedauert, bis die Halle volllief. Das Wasser stand mindestens 60 Zentimeter hoch.« An den Wänden sind die Spuren noch sichtbar. Die kleine Hönne, deren Quelle nur ein paar Kilometer weiter oben, am Kohlberg, entspringt, hatte in dem Werk eine zerstörerische Kraft entfaltet. 2003, als ALCAR nach Neuenrade umzog, ahnte keiner, dass der unscheinbare Bach hinter dem Firmengelände 18 Jahre später das Lebenswerk der Gründer Günther und Harald Schmidt torpedieren würde.
Im Notfall ist Vertreter Udo Bergman an Ort und Stelle
»Wahnsinn«, schrieb Udo Bergmann am Donnerstag an Carsten Hellwig. »Ich war gestern Abend (…) persönlich vor Ort.« Er hatte die Policen seines Firmenkunden geprüft, an Ort und Stelle den Schaden grob eingeschätzt und Informationen zum Versicherungsschutz mit der Allianz geklärt. Wann welcher Sachverständige nach Neuenrade entsandt wird, der die Schäden begutachtet und gegebenenfalls eine Vorabzahlung veranlasst, muss abgestimmt werden.
»Die auf dem Firmengelände geparkten und überschwemmten Kfz sind im Rahmen der Teilkasko mitversichert. Die Stapler im Betrieb auch«, schreibt Udo Bergmann in seiner E-Mail. »Falls die Fahrzeuge betroffen sind, bitte Fotos machen. Bitte melden, wenn ich dir weiterhelfen kann.«
Man kennt sich in Neuenrade, Udo Bergmann ist als Inhaber der Agentur Bergmann – Sasse e.K. mit vielen Menschen im Ort per Du. Was passiert ist, geht ihm nah. Doch Bergmann funktioniert – nur so kann er helfen. Gerade jetzt, da seine Kunden in Not sind, kommt es auch auf ihn an. Zu Carsten Hellwig hält er per Smartphone Kontakt. Wenigstens dieser Kommunikationsweg ist offen, ansonsten ist der gesamte Betrieb weiterhin ohne Strom.
Udo Bergmann ist ein alter Hase bei der Allianz. 1990 stieg er bei der Agentur Klaus Peter Sasse als Kundenberater ein. Neun Jahre später übernahm er die Geschäfte. Viele der mittelständischen Betriebe aus der Gegend sind in irgendeinem Bereich über Udo Bergmann bei der Allianz versichert. Von Kfz-Versicherungen über Haftpflicht- bis Wohngebäudeversicherungen und der Vermögensanlage hat er alles im Portfolio. Seit mehr als 25 Jahren sponsert die Agentur die »Wallkonzerte«, ein Open-Air-Ereignis auf dem Wall gegenüber der Agentur. Was ein fester kultureller Punkt im Rahmen des Stadtmarketings von Neuenrade ist.
Und im Notfall ist er sofort an Ort und Stelle, wie jetzt, um die Schadensregulierungen anzuschieben.
Am Tag drei nach der Katastrophe betritt Udo Bergmann die Fabrik, um sich einen weiteren Überblick zu verschaffen, jetzt, nachdem das Wasser abgelaufen ist. Die Lüftung funktioniert nicht mehr. Es ist still. Schwarze Elektrokabel winden sich wie Schlangen über den Boden. Sie gehören zu einem Notstromaggregat, das außerhalb der Halle steht, dort, wo an normalen Tagen die Transporter vorfahren, um die Leichtmetallräder zu laden. »Wir hoffen, dass wir es nächste Woche anwerfen können«, sagt Viktor Kluev. »Erst müssen wir alles trockenlegen. 400 Kubikmeter Wasser sind allein in der Lackiererei bereits abgepumpt worden.«
Die Roboter sind in der Bewegung stehen geblieben
Durch einen langen Gang geht es zur Lackiererei. Milchiges Licht fällt durch ein paar Fensterschlitze, der Rest der 6000 Quadratmeter großen Halle liegt im Dunkeln. Die sieben Roboter, die normalerweise die Aluleichtmetallräder mit Lack versehen und bearbeiten, sind mitten in der Bewegung stehen geblieben, als der Strom abgeschaltet werden musste. Auf einem Fließband liegen die Modelle der Marken »DEZENT«, »AEZ« und »DOTZ«, die auf Bearbeitung warten. »Hier wurden bereits riesige Mengen Wasser abgesaugt«, sagt Viktor Kluev. »Mehrere hundert Kubikmeter müssen noch folgen.« Bis der Keller leergepumpt ist. Die Roboter, die Industriewaschmaschine, die Trafos, die gesamte Elektronik – zerstört? Man weiß es noch nicht. Vier Spezialisten reinigen mit Lappen und Zahnbürsten Sensoren eines Schaltschrankes. Ob es was bringt, wird sich zeigen. »Erst müssen die Räume trockengelegt werden, bevor wir die Details prüfen können«, sagt Viktor Kluev. Das große Aufräumen hat gerade erst begonnen.
Erst hörten sie das Rauschen, dann sahen sie das Wasser
»In den vergangenen 30 Jahren hatten wir solche Wasserstände nicht«, sagte der Sprecher des Warndienstes des kleinen sauerländischen Örtchens Altena. Bei der Lenne könne man sogar von einem Hochwasser sprechen, wie es im Durchschnitt einmal in hundert Jahren auftrete.
»Es kam die Straße heruntergeschossen«, erzählt Birgit Wagner, die mit ihrem Mann Peter die »LST Lackier- und Stanztechnik« in Altena-Altroggenrahmede betreibt. Es ist eine schmucke Fabrik mit Sheddach, hinter der die kleine Lenne verläuft. Sie hatten um 16 Uhr aus dem Radio erfahren, dass sich ein apokalyptisches Unglück anbahnt. Dann rief ein Nachbar an, sein Keller sei unter Wasser. Als sie in ihrer Firma an der Rahmedestraße ankamen, hatte sich bereits ein See gebildet. »Es ging rasend schnell, die Straße war plötzlich ein reißender Fluss. Überqueren? Das ging nicht mehr. Autos wurden mitgerissen, ganze Bäume schossen herunter.« Die Wassermassen drückten sich unter dem Rolltor in das Gebäude. »Das schaffen wir nie«, war Birgit Wagners erster Gedanke, als sie und ihr Mann Peter das Rolltor endlich hochschieben konnten und das Ausmaß der Verwüstung sahen: Alles überschwemmt, die Stanzmaschine, die Stahlringe, aus denen Klemmen für Zäune geformt werden, das Holz, mit dem im Winter die 1680 Quadratmeter große Fabrikhalle geheizt wird. 32 Jahre Lebenswerk war innerhalb von einer halben Stunde untergegangen. Als das Wasser nur wenig später abgeflossen war, stapften sie durch knöchelhohen Schlick.
Es gibt Tote zu betrauern und Lebenswerke wieder aufzubauen
Auf dem Rückweg zu Udo Bergmanns Agentur passieren wir eine Straße, an deren Rändern sich nasse Möbel, Matratzen und Schutt stapeln. Menschen schleppen Gegenstände aus ihren überfluteten Kellern. Wer hier keine Elementarschaden-Versicherung für Gebäude und Hausrat hatte, den kann die Überschwemmung in existenzielle Not stürzen.
Es wird Wochen dauern, bis sich die Menschen in Neuenrade und Altena von ihren Traumata erholt haben. Es gibt Tote zu betrauern und Lebenswerke wiederaufzubauen. Und die Erkenntnis zu gewinnen, dass sich auch ein kleines Rinnsal zu einer brutalen Naturgewalt auswachsen kann.
Ein Allianz Vertreter verlor sein Leben in den Fluten
Schwere Fahrzeuge des Technischen Hilfswerks (THW) donnern vorbei, gefolgt von Schaufelbaggern, einem Traktor mit einem Anhänger voller Dreck, und der Feuerwehr. Die Sonne scheint. Sie sind unterwegs in die Gegenden, die noch von der Außenwelt abgeschnitten sind. Teile Altenas sind untergegangen, weggerissen von den Fluten. Der 46-jährige Oliver Diehl, Allianz Vertreter und Mitglied der freiwilligen Feuerwehr, verlor hier bei einem Rettungseinsatz sein Leben. Udo Bergmann kannte ihn – Trauer, Schock und Mitgefühl stehen ihm ins Gesicht geschrieben.
Draußen schaufelt Schwiegersohn Andreas Schlamm und Schutt in eine Schubkarre, die er in einem großen Metallcontainer entleert. Udo Bergmann nimmt von Peter Wagner ein paar Fotos und Videos entgegen, die dieser am Tag, als der Regen kam, aufgenommen hatte. Im Rahmen der Inhaltsversicherung sind alle Gegenstände, die nicht fest mit dem Gebäude verbunden sind, mitversichert, so zum Beispiel die technische und kaufmännische Betriebseinrichtung. Was davon noch funktioniert oder nicht, muss erst noch festgestellt werden. Auch bei den Wagners ist eine Elementarschadendeckung mitinbegriffen. Der Gebäudeversicherer hatte am Freitag bereits vorbeigeschaut, und kurz davor waren ein paar Nachbarn da, um mit anzupacken. »Die Hilfsbereitschaft, die wir erfahren, ist der Hammer«, sagt Birgit Wagner. »Jeder hilft jedem. Ich bin noch nicht in der Lage, zu heulen«, sagt Birgit Wagner. »Im Moment funktionieren wir nur, das Trauma wird später kommen.«
Funktionieren heißt einen Kärcher kaufen, eine Schubkarre und Schaufeln. Für die Crew hat sie einen großen Tisch aufgestellt mit Wasser, Limonade, Bier und Snacks. Die drei Jahre alte Enkelin Lila schläft in einem Pappkarton, der auf dem Tisch steht. »Fünf Paar Schuhe sind schon durch«, erzählt Birgit Wagner und deutet auf ihre schlammverkrusteten Stiefeletten. »Aber was rede ich. Andere Menschen haben alles verloren!«
Text Corinna von Bassewitz
Fotos Martin Lamberty
Video Privat